steuerberatung ki

Von Ulf Hausmann

McKinsey geht in einer Studie davon aus, dass bis 2030 rund 30 Prozent der heutigen Arbeitsstunden durch Technologie, einschließlich generativer KI, automatisiert werden können. Wesentliche Veränderungen werden vor allem bei administrativen Bürotätigkeiten gesehen – 54 Prozent. Teile der Steuerberatungsbranche sind bereits mittendrin – andere noch nicht. Während innovative Kanzleien in den letzten Jahren die FiBu-Bearbeitungszeiten bereits um 30 bis teilweise 60 Prozent reduzieren konnten, führen andere Kanzleien gerade erst den Kontoauszugsmanager ein.

KI-Expert:innen von Google, OpenAI und anderen US-Technologiekonzernen sagen bis zum Ende des Jahrzehnts noch weitaus dramatischere Veränderungen voraus, insbesondere die Entwicklung von AGI (Artificial General Intelligence) – also von künstlicher Intelligenz auf menschlichem Niveau. Dies würde einerseits für Steuerkanzleien ungeahnte Möglichkeiten in der Entwicklung der eigenen Kapazitäten und Leistungsfähigkeit bedeuten, wenn man beispielsweise in Zukunft mit „KI-Assistenten“ als virtuellen Teammitgliedern wie mit menschlichen Kolleg:innen arbeiten könnte – mit dem Vorteil, dass es keine Personalengpässe gäbe.

Andererseits könnte, getrieben durch größere, vielleicht sogar branchenfremde Wettbewerber, eine neue Marktdynamik mit verstärktem Wettbewerb um besonders lukrative Mandate entstehen. Und wenn die Finanzverwaltung in Zukunft technologiegetrieben auf eine verstärkt automationsgestützte Steuerveranlagung setzt, wie dies in anderen Ländern bereits seit Jahren der Fall ist, dürften auch einige angestammte Arbeitsbereiche oder ganze Mandantengruppen wegfallen.

Rasante Entwicklungsgeschwindigkeit der KI-Technologie – in wenigen Jahren tausendmal schneller

Getrieben wird diese Entwicklung, die das Geschäftsmodell der Steuerberatung massiv beeinflusst, durch die exponentielle Entwicklung der KI-Technologie, die bereits heute in rasantem Tempo voranschreitet. KI-Expert:innen beschreiben, dass wir uns in einer doppelt exponentiellen Entwicklung befinden, die nicht nur durch die softwareseitige Entwicklung von KI vorangetrieben, sondern auch durch immer leistungsfähigere Hardware beschleunigt wird. Beispielsweise wurde GPT-4 von OpenAI noch mithilfe von Hardware entwickelt, die mehrere Monate benötigte, um das Large Language Model (LLM) zu berechnen. Heute werden Rechenzentren gebaut und sind bereits in Betrieb, deren Leistungsfähigkeit es erlauben würde, in wenigen Tagen ein mit ChatGPT-4 vergleichbares Modell zu berechnen. Umgekehrt werden bereits heute generative KI-Technologien eingesetzt, um neue Mikrochips zu entwickeln, mit denen wiederum KI-Technologien softwareseitig effizienter weiterentwickelt werden können.

Nvidia, das insbesondere mit Grafik- und KI-Beschleunigerprozessoren sowie Rechenzentrumsinfrastruktur in den letzten zwei Jahren enorm vom KI-Hype (und der eigenen strategischen Fokussierung der letzten zehn Jahre) profitiert hat, ist zum drittgrößten Unternehmen der Welt (Marktkapitalisierung) aufgestiegen. Jensen Huang, CEO, erklärt, dass die Hardware, die für die Berechnung von KI-Modellen benötigt wird, in den letzten acht Jahren nicht nur 1.000-mal schneller, sondern auch 350-mal energieeffizienter geworden ist. Allein in den letzten zwölf Monaten seien die KI-Beschleuniger von Nvidia 2,5-mal schneller und ebenso energieeffizienter geworden, und die Entwicklung gehe in diesem Tempo weiter.

Das bedeutet: Der Status quo der KI-Technologie, den wir mit ChatGPT, diversen Copiloten und Midjourney in unserem Alltag erleben, wird sich – technologisch gesehen – immer wieder radikal erweitern. Für die strategischen Überlegungen der eigenen Kanzlei ist diese Entwicklungsgeschwindigkeit zu berücksichtigen.

Wohin führt diese rasante technische Entwicklung gesamtgesellschaftlich?

Ein Blick in die Zukunft lässt vermuten, dass der Anteil der Arbeit in der Steuerberatung, der nicht vollständig automatisiert werden kann, dramatisch zurückgehen wird. Arbeitsmarktexpert:innen prognostizieren: „Uns geht die Arbeit aus“, wenn in einer Welt mit „künstlicher Superintelligenz“, die wir rein technisch in den nächsten 20 Jahren erwarten können, volkswirtschaftliches Einkommen zunehmend automatisch generiert wird; menschliche Arbeit hätte dann weniger den Zweck des Erwerbseinkommens. Mit Super-KI nähern wir uns (zumindest für die westliche Welt) einer möglichen Gesellschaft mit bedingungslosem Grundeinkommen, das aus der Besteuerung der KI-Wertschöpfung finanziert wird. Arbeit dient dann vielmehr der Sinnerfüllung und dem sozialen Miteinander. So oder so ähnlich sehen einige Philosoph:innen und Soziolog:innen eine mögliche Entwicklung im 21. Jahrhundert; sozusagen auf den Spuren der Science Fiction-Literatur des 20. Jahrhunderts.

Eines ist klar: KI-Technologie wird nicht nur die Steuerberatungsbranche oder die Wirtschaft an sich massiv beeinflussen. Sie wird die Menschheit in den kommenden Jahrzehnten auf allen gesellschaftlichen Ebenen massiv verändern. Alle Entwicklungsebenen beeinflussen sich gegenseitig und sind miteinander verzahnt. Allen Führungskräften in Steuerkanzleien sollte zumindest bewusst sein, dass Künstliche Intelligenz nicht nur für die Arbeitsprozesse in der eigenen Kanzlei relevant ist, sondern auch für

    • die gesamte globale Menschheit,
    • die Gesellschaft in Deutschland,
    • das politische System,
    • das Rechtssystem,
    • das Wirtschaftssystem,
    • das Steuersystem,
    • die Branche Steuerberatung,
    • die Kanzlei
    • und die Einzelperson.

Was ist jetzt zu tun?

Steuerberater:innen sollten ihre Kanzlei vollständig digitalisieren und klare Businessmodelle entwickeln. Mitarbeitende sollten in die Entwicklung einbezogen und ihnen Verantwortung übertragen werden. Die Qualität der Beratung und Dienstleistungen sollte im Vordergrund stehen. Alle Bereiche der Kanzlei sollten weiterentwickelt werden, darunter:

  • Persönliche Kompetenzen (fachlich, methodisch, sozial),
  • Prozesse und Standards,
  • IT-Infrastruktur, IT-Strategie, Datenschutz und Datensicherheit,
  • Mandanten- und Zielgruppenstrategie,
  • Wertschöpfung aus Mandantensicht,
  • Personalbeschaffung und -entwicklung,
  • Qualitätsmanagement,
  • Beratungsansatz und persönliche Beratungskompetenzen, und Innovations- und Veränderungskompetenz.

Fazit: Jetzt die Weichen für eine moderne Steuerkanzlei stellen

Die Zukunft der Steuerberatung wird durch Künstliche Intelligenz tiefgreifend verändert. Kanzleien müssen proaktiv handeln und sich auf die kommenden Herausforderungen vorbereiten. Durch die gezielte Nutzung von KI-Technologien, den Aufbau von Kompetenzen und die Einbeziehung der Mitarbeitenden können sie nicht nur überleben, sondern in der neuen, digitalen Welt florieren. Jetzt ist die Zeit, die Weichen für eine erfolgreiche Zukunft zu stellen und die Vision einer modernen Steuerkanzlei zu realisieren. Wie Sie diese Führungsaufgaben im Detail angehen können, werden wir an dieser Stelle künftig für einzelne dieser Führungsaufgaben vertiefen.

Weitere Beiträge

Ulf Hausmann ist Kanzleiberater und systemischer Organisationsberater und Coach. Er war zehn Jahre Marketingleiter von Ecovis und begleitet Kanzleien in Strategie, Führung und Organisationsentwicklung. Er ist Autor und Seminarleiter für unternehmerische Themen in Steuerkanzleien, Mitglied im KI-Ausschuss der Steuerberaterkammer Niedersachsen und Mitbegründer der Tax KI Community.

Bild: Adobe Stock/©Nuthawat

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