Sie ist zwar schon fünf Jahre alt, doch die Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts Schad (S. W. I.) ist immer noch aktuell: Im Auftrag des Handelsblatts im März 2017 wurden Kanzleien gefragt: „Was sind die größten Herausforderungen für ihren zukünftigen Erfolg?“ Geantwortet haben rund 1.400 Berater und Beraterinnen. Am häufigsten nannten sie die Rekrutierung geeigneter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (83 Prozent). Danach folgte die „fortschreitende Technisierung/Digitalisierung“ (69 Prozent). Beides sind reale Herausforderungen, die sich in den Kanzleien spürbar auswirken. Doch wer einen Schritt weiterdenkt, kann die Digitalisierung nutzen, um den Fachkräftemangel abzumildern.
Erster Fakt: Digitalisierung bringt Effizienzgewinne
Wenn zunehmende Digitalisierung die versprochenen Effizienzgewinne bringt (bis zu 25 Prozent scheinen insgesamt möglich, bei der Buchführung wird von 80 Prozent Automatisierungsgrad und höher gesprochen), kann in einer Kanzlei mit der bestehenden Mannschaft mehr geschafft werden. Es werden also weniger neue Mitarbeitende benötigt. So dramatisch wie es der Job-Futuromat darstellt, wird es zwar nicht kommen – hier lautet die Aussage für den Beruf Steuerfachangestellte/r, dass 100 Prozent der Tätigkeiten in diesem Beruf schon heute von Maschinen übernommen werden könnten. (Für den Beruf Steuerberater sieht es etwas rosiger aus, da sind es „nur“ 73 Prozent der Tätigkeiten, die automatisiert werden könnten.)
Zweiter Fakt: Der Fachkräftemangel verschärft sich dramatisch
Arbeitslosigkeit ist ganz sicher das unwahrscheinlichste Szenario in Steuerberatungskanzleien. Das zeigt auch die Arbeitsformel der Zukunft. Sie wurde bereits 2008 im Buch „Deutschland 2030“ vom Zukunftsforscher Hans W. Opaschowski entwickelt:
0,5 x 2 x 3
Sie besagt: Im Jahr 2030 wird die Hälfte der Menschen das Doppelte verdienen und das Dreifache arbeiten müssen. Das klingt nicht gerade nach rosiger Zukunft aus Arbeitnehmersicht: Die eine Hälfte schuftet sich bildlich gesprochen zu Tode und die andere ist arbeitslos.
Doch wenn wir uns die heutige Situation am Arbeitsmarkt anschauen, zeigt sich ein anderes Bild:
Arbeitsformel 2022
1 x 1,4 x 2
1: Die Arbeitslosenquote liegt bei rund 5 Prozent, es herrscht also Vollbeschäftigung und Fachpersonal fehlt. Das wird sich aufgrund der demografischen Entwicklung bis 2030 verschärfen. Die Prognose lautet, dass drei Millionen Fachkräfte fehlen werden.
1,4: Die Gehälter sind im Gesamtdurchschnitt von 2008 bis 2021 um 1,4 Prozent gestiegen. Bis 2030 wird, aufgrund der anhaltenden Inflation, voraussichtlich die Marke von 1,5 Prozent überschritten.
2: Auch wenn es hierfür keine Statistiken gibt: Die Arbeitsdichte ist gerade in den Steuerberatungskanzleien seit 2020 immens gestiegen. Mit Corona-Hilfen und Schlussabrechnung, Grundsteuerreform oder Energiepreispauschale erledigen die Mitarbeitenden zusätzlich zu ihren alltäglichen Aufgaben ein immenses Pensum – und der Gesetzgeber sorgt dafür, dass das so bleibt.
Welche Auswirkungen hat das auf Kanzleien?
1. Es fehlen qualifizierte Mitarbeitende
Der Kampf um gute Mitarbeitende findet dabei nicht nur innerhalb der Branche statt, sondern wird verschärft, da Finanzverwaltung, Banken, Versicherungen und Unternehmensabteilungen für Rechnungswesen um den gleichen Bewerber-Pool buhlen. Wer in letzter Zeit eine Mitarbeiterin bzw. einen Mitarbeiter gesucht hat, konnte am eigenen Leib spüren was es heißt, dass der Markt leergefegt ist.
2. Die Gehälter steigen
3. Mandantenanfragen werden abgelehnt
Wenn die Kapazitäten fehlen, bleibt oft nur der Aufnahmestopp. Selbst lukrative Mandate werden inzwischen abgelehnt, weil die Mitarbeitenden schon am Anschlag sind. Und dass, obwohl D-Mandant:innen aussortiert wurden.
Dritter Fakt: Die Effizienzgewinne sind (noch) nicht spürbar
Die Heilsversprechen der Digitalisierung oder besser Automatisierung werden schon seit Jahren propagiert. Doch die erhofften Effizienzgewinne bleiben in vielen Fällen aus. Inzwischen spricht man sogar vom Solowschen Produktivitätsparadoxon nach Nobelpreisträger Robert Solow: „Computer finden sich überall – außer in den Produktivitätsstatistiken.“
Woran liegt das?
- Digitalisierung bedeutet etwas anderes als „Wir ersetzen Papier durch digitale Dokumente“. In vielen Kanzleien wurden die analogen Prozesse in die digitale Welt übernommen. Dadurch verpufft der Effizienzgewinn.
- Es braucht Einarbeitung und Umgewöhnung, bis die Prozesse so routiniert ablaufen, dass sie den Mitarbeitenden genauso leicht von der Hand gehen wie die analogen Prozesse. Das kann bis zu sechs Monate dauern.
- Es werden zu viele Ausnahmen gemacht. Wenn Mitarbeitende oder Mandant:innen nicht hundertprozentig mitziehen, werden – oft aus falsch verstandenem Harmonieverständnis – Arbeitsweisen aus der alten Welt beibehalten. In der Kanzlei entstehen dann Schattenprozesse, die sich negativ auf die Gesamteffizienz auswirken.
- Das volle Automatisierungspotenzial wird aus Unkenntnis nicht ausgenutzt. Kennen Sie alle Schnittstellen? Wissen Sie mit welchen Systemen Ihre Mandantinnen und Mandanten arbeiten? Nutzen die Mitarbeitenden alle Programmfunktionen? Hier versteckt sich oft ein riesiges Potenzial, das „einfach nur“ aufgedeckt werden muss.
Kanzleien, die die Chance frühzeitig genutzt haben und bereits seit mehr als fünf Jahren durchgängig digitalisiert arbeiten, bestätigen eine Entlastung um 20 Prozent.
Statt zwei neue Fachkräfte suchen zu müssen, erledigen jetzt zehn Mitarbeitende das Pensum von zwölf ohne zusätzlichen Stress.
Die Lösung lautet: Digitalisierung mit Hirn
Lassen Sie sich also nicht entmutigen und treiben Sie die Digitalisierung voran. Das ist Ihre (einzige) Chance, um die Kanzlei zukunftssicher aufzustellen.
Folgende Tipps helfen Ihnen dabei:
1. Mitarbeiter-Workshop Effizienz-Booster und Effizienz-Killer
Sammeln Sie gemeinsam mit Ihren Mitarbeitenden Beispiele, welche Maßnahmen bisher zu Arbeitserleichterungen geführt haben und welche – gefühlt – mehr Aufwand bedeuten. Ein klassischer Effizienz-Killer ist beispielsweise die innovationsfreudige Chefin bzw. der innovationsfreudige Chef selbst, die bzw. der alle paar Monate ein neues Tool einführt, bei dem sich den Mitarbeitenden die Sinnhaftigkeit nicht erschließt.
Ein Effizienz-Booster in vielen Kanzleien ist beispielsweise eine Lösung für die digitale Unterschrift (statt wie bisher mit E-Mail mit Anhang, Ausdruck durch Mandant:in, Unterschreiben, Einscannen, E-Mail-Rückversand mit Anhang).
2. Nutzen Sie die Prozess-Akupunktur
Hinterfragen Sie konkret die einzelnen Arbeitsabläufe und die Zusammenarbeit mit den Mandantinnen und Mandanten. Am besten tragen Sie die Daten in einer Excel-Liste zusammen, z. B. mit folgenden Inhalten:
- Welche Softwares nutzen unsere Mandant:innen?
- Welche Schnittstelle nutzen wir bei welchen Mandant:innen?
- Wo gibt es noch Medienbrüche (Scannen, E-Mail, Unterschrift etc.)?
- Wo ergeben sich unter den Mandant:innen Gemeinsamkeiten?
- Welche Schnittstellen müssen wir erst noch „schaffen“?
3. Erstellen Sie sich eine Roadmap
Digitalisierung und Automatisierung ist ein weites Feld. Je nachdem, wo Sie heute stehen, machen Sie sich auf den Weg zur voll digitalen Kanzlei. Diese Reihenfolge hat sich bei uns im delfi-net Steuerberater-Netzwerk bewährt:
- Go Paperless – intern und extern ohne Papier. OneNote und iPad ist hier für viele Kanzleien ein echter Effizienz-Booster.
- Go Interface – Schnittstellen und Automatisierung so weit das Auge reicht, siehe Prozess-Akupunktur.
- Go Portal – ein Mandantenportal vereinfacht die Zusammenarbeit und den Belegaustausch.
- Go Real Time – je zeitnaher gebucht wird, desto aussagekräftiger sind die Auswertungen. Schattenbuchhaltungen verschwinden (wenn Sie wüssten, wie viele Mandantinnen und Mandanten ihre eigenen Auswertungen basteln, weil Sie sie nicht zeitnah zur Verfügung stellen können).
- Go Out of Office – Homeoffice können Kanzleien inzwischen. Schaffen Sie alle Rahmenbedingungen, damit Mitarbeitende ihren Arbeitsort flexibel wählen können. Das ist ein absoluter Pluspunkt als attraktiver Arbeitgeber.
Fazit: Mitarbeitende mitnehmen und echte Digitalisierung starten
Der Weg zur digital-effizienzen Kanzlei ist in jeder Hinsicht ein Gewinn. Sie können die wachsenden Anforderungen mit den bestehenden Mitarbeitenden leichter bewältigen. Zudem wird Ihre Kanzlei durch das Angebot flexibler Arbeitszeiten -und orte attraktiver für neue Angestellte. Dabei ist es jedoch zu beachten, dass die Prozesse nachhaltig digitalisiert werden und alle Mitarbeitenden an einem Strang ziehen.
Als Kanzleioptimistin, Positionierungs-Profi, Referentin und Autorin unterstützt Angela Hamatschek die Steuerberatungsbranche auf dem Weg in die digitale Zukunft. Sie ist seit über 20 Jahren als Beraterin unterwegs und begleitet mit ihrer Kollegin Cordula Schneider rund 100 Kanzleien bundesweit im delfi-net Steuerberater-Netzwerk bei der Kanzleientwicklung. Als Trendscout, Branchenkennerin und begeisterte Managementbuch-Leserin gibt sie ihr Wissen in Webinaren und Workshops bei den Kanzleioptimistenund im Podcast der Leseoptimistin weiter.
- Angela Hamatschekhttps://tax-tech.de/autor/angela-hamatschek/
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