Von Johannes Franz
In den letzten Jahren ist eine Fülle neuer Software in der Steuerbranche entstanden. Auf zig Messen, Veranstaltungen und Webinaren werden laufend neue Lösungen angepriesen, die das Leben der Kanzleien digitaler und einfacher gestalten sollen. Häufig betrifft dies die organisatorische Schnittstelle zwischen Kanzlei und Mandantschaft im Bereich Fibu und Lohn. Aber auch in anderen Bereichen wie im Kanzleicontrolling, Marketing, Personalmanagement, der Kapazitäts- und Auftragsplanung oder beim Thema Weiterbildung tummelt sich eine Vielzahl von Anbietern. Die Alleinherrschaft des grünen Riesen scheint auf seine Kernprodukte reduziert zu sein. Dies ist begrüßenswert, verändert aber auch das Verhältnis von Steuerberater:innen zu Software. Musste man sich früher wenig damit beschäftigen und erhielt regelmäßig Informationen seines Kundenbetreuers bzw. -betreuerin zu neuen Produkten und Anwendungen, fordert nun die Vielfalt am Markt eine aktive Auseinandersetzung, will man sich nicht dem Erstbesten oder dem Lautesten hingeben.
Herausforderungen der Steuerkanzleien abseits der Technik
Neben dem digitalen Fortschritt stehen Steuerberater:innen vor zahlreichen weiteren Herausforderungen: Die Auswirkungen von Corona hallen in einigen Kanzleien noch nach – Stichwort Schlussabrechnung. Das Wachstumschancengesetz mit seinen Änderungen und der bevorstehenden verpflichtenden E-Rechnung im Business-to-Business-Sektor wirft seine Schatten voraus. Der Arbeitsmarkt ist leergefegt, und verlockende Angebote von großen Kanzleien und Unternehmen der freien Wirtschaft machen es schwer, qualifiziertes Personal zu halten. Die Arbeitslast bleibt unverändert hoch. In dieser Situation Zeit und Muße für tiefgreifende Digitalisierungsmaßnahmen zu finden, Mitarbeitende in Konzeptentwicklung und Umsetzung miteinzubeziehen, etwaige Ängste vor der Veränderung abzubauen und sich von Fehlschlägen nicht entmutigen zu lassen – all das scheint nebenbei kaum machbar. Zu verlockend klingen da die Rufe der einfachen Lösungen, der neuen Möglichkeiten, des digitalen Turbos.
Die digitale Realität
Aber so funktioniert Digitalisierung nicht. Es ist kein Projekt von mehreren Wochen oder wenigen Monaten. Es ist kein Sprint, bei dem man einmal die Zähne zusammenbeißen muss und durchzieht. Es wäre auch verwunderlich – wie könnte eine ganze Nation sonst das Gefühl haben, den digitalen Anschluss zu verlieren? Digitalisierung bietet das Potenzial, die Produktivität jedes und jeder Einzelnen zu steigern, indem repetitive Aufgaben automatisiert werden, digitale Arbeitsabläufe Transparenz und Ortsunabhängigkeit schaffen und strukturierte digitale Daten, die von Software automatisiert verarbeitet, analysiert und visualisiert werden, einen ungemeinen Schatz darstellen. Allerdings ist der Weg dorthin kein Sprint. Jeder, der sich auf den Weg gemacht hat, weiß vielmehr, dass es nicht mehr aufhört. Dass es eine kontinuierliche Weiterentwicklung ist. Wenn jemand einfache, schnelle Lösungen verspricht, sollten Sie vorsichtig sein. Dies mag ernüchtern. Den einfachen Weg gibt es hier aber nicht.
Trügerische Ruhe vor dem Sturm
Der eine oder die andere mag sich mit dem Gedanken trösten, dass er oder sie nur noch wenige Jahre arbeitet und dann seine Kanzlei ohnehin verkauft. Doch der Traum, mit dem Erlös seinen Lebensabend zu gestalten, platzt bei immer mehr Inhaber:innen. Kanzleiintegrationen sind aufwendig und organisches Wachstum mit etwas Marketing einfach zu schaffen. Mandantenstämme sind überaltert, die Daten in schlechter Qualität und nicht selten verlassen die gerade eingearbeiteten Mitarbeitenden nach kurzer Zeit wieder die Kanzlei. Auch die aktuelle Ausgangslage in Kanzleien ist trügerisch: Arbeit gibt es genug, Honorare werden gezahlt, Anfragen neuer Mandant:innen kommen auch ohne Marketing in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen und loyale Mitarbeitende bleiben der Kanzlei erhalten. Dem akuten Handlungsdruck der Digitalisierung geht so die Puste aus. Jedoch trügt der Schein. Der Abstand zwischen denen, die viele Tätigkeiten automatisieren können, da sie digitale Prozesse und damit digitale Daten erhalten, wächst. Die Geschwindigkeit neuer Technologien wie ChatGPT nimmt exponentiell zu. Dies ermöglicht Automatisierung jetzt auch in Bereichen, die Steuerberater:innen als sicher glaubten – der Beratung.
Eine digitale Basis schaffen
Kann man dann nicht direkt mit KI durchstarten? Nicht, wenn Sie noch am Anfang stehen! Schaffen Sie eine digitale Basis in Ihren Kanzleiprozessen. Fragen Sie sich, ob Sie alle Funktionen Ihrer bestehenden Software schon voll ausreizen: Haben Sie zum Beispiel Vollmachten von wirklich all Ihren Einkommenssteuer-Mandant:innen, um Funktionen wie Steuerkonto Online, die vorausgefüllte Steuererklärung oder den digitalen Empfang von Bescheiden direkt vom Finanzamt flächendeckend nutzen zu können? Versenden Sie nur noch digitale, ggf. schon elektronische, Rechnungen? Erhalten Sie bei all Ihren Buchhaltungen die Kontoumsätze per Schnittstelle automatisch in Ihre Software, damit Ihre wertvollen Fachkräfte keine Kontoauszüge mehr manuell erfassen müssen? Verankern Sie diese Themen direkt im betreffenden Prozess, wie hier im Neumandatsprozess. Fangen Sie dann an, Ihre Bestandsmandate Stück für Stück umzustellen. Das ist zu Beginn aufwendig und braucht viel Durchhaltevermögen. Es bringt Ihnen aber wiederkehrenden Nutzen und schafft so Zeit im Kanzleialltag, die dringend benötigt wird.
Ein Digitalisierungsprojekt nach dem anderen
Nehmen Sie sich dazu ein Thema vor und setzen Sie dieses gemeinsam mit Ihren Mitarbeitenden kontinuierlich bis zu 100 Prozent um. Das ist extrem wichtig, denn das Beibehalten von Parallelprozessen (Papier, digital, jeder, wie er will) führt auf Dauer zu enormer Komplexität und benötigt entweder mehr Wissen oder mehr Dokumentation, um herauszufinden, was bei wem wie gemacht wird. Gute Standards hingegen schaffen Klarheit und Transparenz, ermöglichen Geschwindigkeit und Vertretung bei Abwesenheit. Und gute Standards lassen sich meist auch einfach digitalisieren und automatisieren. Wohingegen ein ineffizienter, nicht durchdachter analoger Prozess auch im Digitalen schlecht bleibt. Ganz zu schweigen von Automatisierung: Wenn es fünf Möglichkeiten gibt, etwas zu tun, wird es schwer, der Maschine „zu erklären“ (programmieren), wann sie was zu erledigen hat und wann nicht. Ausnahmen sind dann die Regel. Wenn es sich in Ihrer Kanzlei schon jetzt so anfühlt, wissen Sie, wo Sie anfangen können. Und nochmal: Fokussieren Sie sich mit Ihren Mitarbeitenden auf ein Thema, auf einen Prozess; reizen Sie das Bestehende aus, erreichen Sie die 100 Prozent und feiern Sie diese Erfolge. Anschließend können neue Technologien und Tools weiterhelfen, nicht vorher.
Johannes Franz unterstützt Steuerkanzleien dabei, ihre Produktivität durch gezielte Digitalisierung und Automatisierung zu steigern – und damit zukunftssicher aufzustellen. Nach dem Studium der Organisationsentwicklung arbeitete er als Junior-Berater mit dem Schwerpunkt Reorganisation von Steuerkanzleien. Anschließend war er als Leiter IT & Digitalisierung bei der mittelständischen Steuerberatungsgesellschaft Acconsis tätig. Mit seiner Dienstleistung Chief Digital Officer as a Service (CDOaaS) hilft er Steuerberater:innen, die ihre Kanzlei digitalisieren wollen, im Kanzleialltag aber keine Zeit dazu finden.
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