Von Melchior Neumann
ChatGPT macht gerade branchen- und medienübergreifend Schlagzeilen und sorgt dafür, dass überall über künstliche Intelligenz gesprochen wird. Was Sie als Steuerberater:innen zum ChatGPT und sinnvollen Einsatzmöglichkeiten in der Steuerkanzlei wissen sollten, haben wir im Folgenden zusammengefasst.
Was ist ChatGPT?
ChatGPT ist ein Programm des US-amerikanischen Unternehmens OpenAI. OpenAI hat sich auf die Entwicklung von Technologien im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) spezialisiert. KI (oder AI für artificial intelligence) ist ein Gebiet, das sich damit beschäftigt, wie Computer ähnlich dem menschlichen Vorbild „denken“ und „lernen“ können.
ChatGPT gehört zu den als „Sprachmodelle“ bezeichneten KI-Systemen. Diese wurden entwickelt, um menschliche Sprache zu verstehen und darauf zu reagieren. Im Fall von ChatGPT wurde das Programm darauf trainiert, auf natürlich gestellte Fragen zu antworten. Das bedeutet, dass es in der Lage ist, menschenähnliche Antworten auf Fragen zu geben, die es noch nie zuvor gehört hat. Zudem lernt ChatGPT aus laufenden Dialogen und erzielt damit im Laufe der Zeit immer bessere Ergebnisse.
OpenAI hat ChatGPT entwickelt, um es Unternehmen und Entwickler:innen zur Verfügung zu stellen, damit diese es in ihre eigenen Anwendungen und Produkte integrieren können. In den nächsten Monaten und Jahren werden daher zahlreiche Softwarelösungen auf den Markt kommen, die ChatGPT implementiert haben.
GPT-3 und GPT-4
Von ChatGPT gibt es mehrere Versionen, die sich vor allem in der Anzahl der Parameter unterscheiden, mit denen es trainiert wurde. GPT-3 wurde mit 175 Milliarden Parametern trainiert und ist damit das größte Sprachmodell, das je erstellt wurde. Im Vergleich dazu soll GPT-4 mit 100 Billionen Parametern trainiert worden sein.
In der täglichen Anwendung spürt man eindeutig, dass die neue Version (GPT-4), die seit März 2023 verfügbar ist, deutlich intelligenter und sprachgewandter ist.
Wie funktioniert ChatGPT?
ChatGPT ist in der GPT-3-Version aktuell kostenlos und wirklich einfach zu nutzen. GPT-4 ist nur in der kostenpflichtigen Version verfügbar und kostet 20 Dollar/Monat.
Wenn Sie ChatGPT testen wollen, gehen Sie am besten folgendermaßen vor:
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- Rufen Sie die OpenAI-Website auf: chat.openai.com/chat
- Legen Sie ein kostenloses Konto an oder melden Sie sich mit Ihren Anmeldeinformationen an.
- Geben Sie Ihre Frage oder Anforderung ein und drücken Sie die Eingabetaste.
- Der Chatbot wird Ihnen eine Antwort auf Ihre Frage geben. Wenn Sie weitere Fragen haben, können Sie einfach eine neue Frage eingeben.
- Um Ihre Interaktion zu beenden, klicken Sie auf die Schaltfläche „Beenden“ oder schließen das Fenster.
Wie kann ChatGPT in der Steuerberatung verwendet werden?
Bislang ist das Chat-Tool eine spannende Spielerei und es ist interessant, sich ein Rezept für einen Käsekuchen schreiben zu lassen, nach möglichen Outdoor-Aktivitäten am Bodensee zu fragen oder sich eine Gute-Nacht-Geschichte für die Tochter generieren zu lassen.
Richtig spannend wird es aber, wenn die KI zum aktiven Mitarbeitenden im Kanzleialltag wird. Und dieses Potenzial hat die Software auf jeden Fall!
Nicht nur die sprachlichen Fähigkeiten sind beeindruckend, auch das fachliche Niveau ist mit GPT-4 deutlich angestiegen. In den USA hat ChatGPT bereits MBA-, Rechts- und Medizinprüfungen bestanden. Mit dem deutschen Recht, tat sich die Software in der Vergangenheit noch recht schwer, aber das Tax Tech-Startup Taxy.io konnte mit GPT-4 bereits mehrere Musteraufgaben aus der Steuerfachangestelltenprüfung erfolgreich lösen. Laut Taxy.io könnte die Software die gesamte steuerfachliche Prüfung aktuell knapp bestehen.
1. Kommunikation und Schriftstücke
ChatGPT ist der ideale Ghostwriter: So ist eine Einsatzmöglichkeit die Unterstützung bei der Kommunikation und Erstellung von Schriftstücken. Denn vielen Menschen fällt es leichter, auf vorhandenen Textentwürfen aufzubauen, als von Grund auf neu zu schreiben.
ChatGPT kann dabei helfen, indem es Entwürfe für E-Mails, Briefe und Mandantenschreiben liefert, die zum Teil so gut sind, dass sie 1:1 übernommen werden können. Auch für fachliche Texte kann ChatGPT erste Vorschläge liefern, allerdings ist hier Vorsicht geboten, da die KI nicht alle Irrungen und Wirrungen des deutschen Steuerrechts kennt. Und Sie als Berufsträger:in sind selbstverständlich für die Texte verantwortlich, die Sie verwenden.
Durch die Verwendung von Adjektiven wie formell, überzeugend, humorvoll kann die Tonalität der von ChatGPT erstellten Texte je nach Bedarf zusätzlich beeinflusst werden.
Sollten die Ergebnisse nicht zufriedenstellend sein, kann es hilfreich sein, Stichpunkte zu schreiben und ChatGPT das Ausformulieren übernehmen zu lassen.
2. Zusammenfassungen von Texten
ChatGPT ist auf dem Stand von 2021, weshalb es keine Informationen aus 2022 (und später) kennt und dementsprechend nicht berücksichtigen kann. Um mit neueren Informationen zu arbeiten, kann man jedoch ganze Texte in das Chatfeld kopieren und ChatGPT damit arbeiten lassen.
Eine der großen Stärken von ChatGPT ist die Zusammenfassung von langen und komplizierten Texten. Beispielsweise kann man das letzte BMF-Schreiben oder ein BFH-Urteil in den Chat kopieren und ChatGPT bitten, eine Zusammenfassung in Bulletpoints zu verfassen. Falls Fragen zur Zusammenfassung bestehen, können einfach Rückfragen gestellt werden, wie „Gilt das Beschriebene auch für natürliche Personen?“ ChatGPT wird diese Fragen beantworten, sofern die Informationen in der Quelle vorhanden sind.
Wie zuvor schon erwähnt, ist ChatGPT vor allem für Softwareentwickler spannend, die die Technologie nun in ihre eigenen Produkte einbinden können. Und genau für dieses Anwendungsbeispiel gibt es bereits eine weitere Website, die auf ChatGPT aufbaut und die im Steuerberatungsalltag viel Zeit sparen kann: chatpdf.com
ChatPDF funktioniert im Wesentlichen wie ChatGPT, allerdings kann man PDF-Dateien hochladen, was für die Zusammenfassung von BFH-Urteilen und BMF-Schreiben eine riesige Erleichterung ist. Auch ChatPDF kann kostenlos genutzt werden.
3. Marketing (Social Media, Blog usw.)
Insbesondere im Marketing kann ChatGPT dabei helfen, klare und verständliche Botschaften zu erstellen, die die Leistungen der Kanzlei effektiv kommunizieren. Ein Beispiel hierfür ist die Erstellung von Social Media-Posts, Marketing-E-Mails oder Blogbeiträgen.
Durch die Verwendung natürlicher Sprache und einer einfachen Ausdrucksweise kann das Tool dafür sorgen, dass die Inhalte leicht verständlich und ansprechend sind. Denn besonders im Marketing geht es weniger um fachliche Akribie als um klare, verständliche Botschaften.
4. Präsentationen
ChatGPT kann außerdem bei der Vorbereitung von Präsentationen helfen. Beispielsweise kann die KI Präsentation strukturieren, Inhalte organisieren und gliedern und die wichtigsten Botschaften hervorheben. Denn auch bei Präsentationen geht es vor allem um prägnante Darstellungen, was ChatGPT meiner Erfahrung nach sehr gut umsetzen kann.
Was kann ChatGPT NICHT?
Klingt zu gut, um wahr zu sein, oder? ChatGPT ist wie ein kostenloser zusätzlicher Mitarbeiter, der Ihnen und Ihrer Kanzlei rund um die Uhr zur Verfügung steht. Mehr noch: Aufgrund der Geschwindigkeit handelt es sich eher um eine ganze Armee an kostenlosen zusätzlichen Mitarbeitenden, die jede beliebige Anfrage innerhalb von Sekunden recherchiert und Ihnen die Ergebnisse vorlegt.
Das Problem: Diese Mitarbeitenden haben durchaus ihre Schwächen und sind zumindest im Steuerrecht nicht die qualifiziertesten. Man hat es also mit einer Armee von kostenlosen Berufseinsteiger:innen zu tun. Das kann eine wertvolle Hilfe sein, aber nicht für jede Aufgabe.
Aktuelle News
ChatGPT ist ein Modell, das auf einer großen Textmenge trainiert wurde. Da es jedoch ein bestimmtes „Kenntnis-Cutoff-Datum“ hat, kann es nicht auf aktuelle Nachrichten zugreifen, die nach diesem Zeitpunkt stattgefunden haben. Dieses Datum ist Ende 2021.
Wenn Sie also Hilfe beim Jahressteuergesetz 2022, bei den letzten BFH-Urteilen oder Ähnlichem benötigen, kann Ihnen ChatGPT nicht ohne Weiteres helfen. Sie müssen bei allen Ereignissen, die nach 2021 geschehen sind, die jeweilige Quelle mit in den Chat kopieren, um aktuelle Ergebnisse zu erhalten.
Fachliche Details
Die KI von OpenAI hat Probleme bei zu spezifischen Themen. Und wenn wir das weltweite Wissen als Ganzes betrachten, dann ist das deutsche Steuerrecht unglaublich spezifisch. Sie sollten sich also nicht ohne Weiteres auf die fachlichen Informationen verlassen, die Ihnen ChatGPT liefert. Auch wenn sich der Chat manchmal sehr menschlich anfühlt, sollte einem jederzeit bewusst sein, dass es ausdrücklich NICHT für eine steuerliche Beratung geeignet ist.
Menschenverstand
ChatGPT ist eine Maschine und kein Mensch. Das klingt zunächst trivial, ist aber wichtig. Eine KI kann nur zu Dingen Auskunft geben, zu der sie mal etwas gelernt hat. Das ist bei uns Menschen auch so, aber wir Menschen machen beim Denken mehr, als nur reines Wissen wiederzugeben. Wir interpretieren, wir verstehen die Intention des Fragenden, wir hinterfragen die Frage, wir setzen Informationen in einen Kontext usw. Bei all diesen Dingen ist der Mensch einer KI überlegen.
ChatGPT ist wahrscheinlich die intelligenteste Maschine, die es bisher gab. Aber es bleibt eine Maschine. Sowas wie gesunden Menschenverstand kann man bei einem Nicht-Menschen nicht erwarten.
Wie nutzt man ChatGPT am besten?
Wenn die künstliche Intelligenz in Zukunft alles kann, dann sind wir demnächst alle arbeitslos. Dieses Statement kann man zwar immer wieder lesen und hören, entspricht aber nicht der Realität. Bleiben wir bei unserem Bild: ChatGPT ist wie eine Armee von kostenlosen Berufseinsteiger:innen. In Zeiten von Fachkräftemangel sind das schöne Aussichten; damit diese fleißigen Helfer aber produktiv arbeiten können, brauchen sie Arbeitsanweisungen. Und genau so ist das auch bei Künstlicher Intelligenz – hier heißen die Arbeitsanweisungen Prompts.
Um ChatGPT optimal nutzen zu können, müssen Sie präzise und klar formulierte Prompts verwenden. Die richtige Promptwahl ist entscheidend, um relevante und hilfreiche Informationen aus dem KI-Modell abzurufen. Dabei sollten Sie Ihre Anfragen so detailliert wie möglich formulieren, um eine passgenaue Antwort zu erhalten.
Um ChatGPT effizient einzusetzen, sollten Sie zunächst die Hauptfrage oder das Hauptanliegen in einer einfachen, aber informativen Form präsentieren. Anschließend können Sie zusätzliche Informationen oder Kontext bereitstellen, um die Genauigkeit der Antwort zu erhöhen. Beispielsweise könnten Sie einen Prompt wie folgt formulieren: „Erkläre mir die Vorschriften für die Abschreibung von Anlagevermögen in Deutschland, insbesondere für immaterielle Vermögensgegenstände bei bilanzierungspflichtigen Handelsunternehmen.“
Tooltipp! Für die Erstellung von Prompts gibt es bereits spannende Anwendungen:
- Stefan Groß und Thomas Hoppe haben ein Prompt-Engineering-Tool entwickelt, mit dem Sie Prompts einfach per Mausklick erstellen können: taxpunk.de/eprompt
- Derzeit nur auf Englisch verfügbar, steht unter AgentGPT zudem ein nützliches KI-Tool zur automatischen Prompt-Erstellung bereit. Dort kann das Ziel angegeben werden und die KI erstellt die dazu passenden Prompts.
Achtung! Datenschutz und Verschwiegenheitspflicht
ChatGPT lernt nicht nur von öffentlich verfügbaren Informationen. Die Künstliche Intelligenz lernt auch von den eingegebenen Informationen und Fragen. Seien Sie deshalb achtsam bei der Verwendung von ChatGPT und vermeiden Sie es unbedingt, vertrauliche Geschäftsgeheimnisse in das Tool einzugeben. Des Weiteren sollten Mandantendaten keinesfalls mit ChatGPT geteilt werden.
ChatGPT ist ein absoluter technologischer Meilenstein, aber die Software ist aktuell in Italien aus Datenschutzgründen verboten und es gibt Beispiele, in denen Mitarbeitende von Unternehmen (u. a. Samsung) Geschäftsgeheimnisse mit ChatGPT geteilt haben. Diese Informationen sind der Künstlichen Intelligenz dann bekannt und können unter Umständen von jedem auf der Welt abgerufen werden.
Sie sollten nur die Informationen mit ChatGPT teilen, die Sie auch im Internet (z. B. in Social Media-Gruppen) teilen würden.
Ausblick: Was wir in Zukunft erwarten können
In den kommenden Jahren können wir mit einer stetigen Verbesserung der Leistung und Genauigkeit von ChatGPT und künstlicher Intelligenz im Allgemeinen rechnen. Die wichtigsten Entwicklungen dürften sich vor allem in den Bereichen Sprachverarbeitung, maschinelles Lernen (ein Bereich der KI, der Computern ermöglicht, aus Datenmustern und Erfahrungen selbstständig zu lernen, um Vorhersagen oder Entscheidungen zu treffen, ohne explizit programmiert zu werden) und Computer Vision (eine Technologie, die es Computern ermöglicht, Bilder und Videos zu verstehen und zu analysieren) abspielen.
Zudem wird derzeit verstärkt an der Entwicklung von KI-Systemen gearbeitet, die fähig sind, komplexe Aufgaben wie Problemlösung, Planung und Entscheidungsfindung auszuführen. Dies betrifft auch das Recht im Allgemeinen und das Steuerrecht im Speziellen. Es ist davon auszugehen, dass die Technologie immer besser wird und immer spezifischere Antworten im Bereich der Beratung geben wird.
Da Steuerberatung aber deutlich mehr ist, als schematisch Wissen abzurufen, ist nicht davon auszugehen, dass Steuerberater:innen bald arbeitslos sind. Wir haben nun vielmehr ein neues Werkzeug an der Hand, das in den nächsten Jahren immer besser werden wird. Die KI wird niemandem den Job wegnehmen, aber Menschen, die eine KI nutzen, werden es tun.
Tax Tech-Magazin Spezial:
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Was ChatGPT zu bieten hat und welche möglichen Auswirkungen
die KI auf die Steuerbranche hat, erfahren Sie in diesem Magazin.
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Melchior Neumann ist Mitgründer der Kontist Steuerberatung in Berlin. Nach seiner Ausbildung zum Steuerfachangestellten war er bei KPMG tätig und arbeitete später freiberuflich für verschiedene Tax Tech-Unternehmen wie lexoffice, felix1, Debitoor und Klarna. Er ist regelmäßig auf Branchenevents präsent, beteiligt sich an Diskussionen und schreibt Artikel zu aktuellen Entwicklungen in der Steuer- und Technologie-Welt.
- Melchior Neumannhttps://tax-tech.de/autor/melchior-neumann/