All-in-one-Software

Von Johannes Franz

Kanzleicontrolling, Mandanten-Onboarding, digitale Signatur, Videokonferenzen, Dokumentenaustausch, Customer-Relationship-Management-Systeme (CRM), generative KI und RPA – fortschrittliche Kanzleien setzen aktiv Technologien ein, um ihre Prozesse zu digitalisieren und ihre Produktivität nachhaltig zu verbessern. Im Gegensatz zu ihren papierlastigen Berufskolleg:innen stehen sie dabei vor zusätzlichen Herausforderungen: Mitarbeitende benötigen hohe IT-Kompetenzen zur Nutzung der unterschiedlichen Lösungen.

Sie haben somit einen höheren Schulungsbedarf – der aufgrund der fachlichen Themenfülle in der Branche bereits hoch ist. Bei jedem Ein- und Austritt von Mitarbeitenden müssen Lizenzen gemanaged sowie Kündigungszeiten und Kosten der einzelnen Lösungen im Blick behalten werden. Auch der interne Support bei kleineren oder größeren Problemen steigt an, wenn es mal wieder brennt und der Softwarehersteller nicht zeitnah zu erreichen ist. Steht einem hier kein geeigneter IT-Dienstleister zur Seite, werden nicht selten IT-Fachkräfte auch schon in kleineren Kanzleien eingestellt, um die Fülle an Aufgaben zu bewältigen.

Eine neue Kategorie an Softwareherstellern verspricht hier eine Lösung: Eine einzige Software mit allen Funktionen, einmal Aufwand, eine Rechnung – all-in-one! In diesem Artikel wird beleuchtet, wie es zu dieser Entwicklung gekommen ist und wer zentrale Anbieter sind.

DATEVs Strategiewechsel ebnet den Weg

Die DATEV eG vollzog vor einigen Jahren einen Strategiewechsel, der enorme Auswirkungen auf die Softwarelandschaft in der Steuerbranche hatte: „Ein Anbieter allein kann den Bedarf seiner Kundinnen und Kunden nicht mehr umfänglich abdecken.“[1] Diese Einsicht war der Grundpfeiler für DATEVs Ökosystem-Strategie: Einerseits fokussierte sich die DATEV wieder stärker auf ihr Kerngeschäft mit den bestehenden Steuer-, Lohn- und Buchhaltungslösungen sowie ihrem Kanzleimanagement. Andererseits öffnete sie die Türen für ausgewählte Softwareanbieter, die ergänzende Lösungen für Steuerkanzleien und deren Mandant:innen entwickelt hatten. Die DATEV kann ihre eigenen Ressourcen bündeln und wieder zielgerichtet einsetzen. Ihre Partner erhalten eine Plattform und damit Zugang zu Kanzleien und deren Mandantschaft. Die zugrundeliegende Plattform-Ökonomie ermöglicht es der DATEV, ihre dominierende Stellung im Markt in abgewandelter Form zu behalten und zu festigen. Die neuen Anbieter können sich ihrerseits auf dem DATEV-Marktplatz positionieren und bei Veranstaltungen wie dem DATEV IT-Club ihre Lösungen präsentieren. So hat sich im Laufe der Jahre ein vielfältiges Angebot an neuen Softwareanbietern entwickelt, das ganze Messehallen füllt und es selbst Eingeweihten nicht immer einfach macht, den Überblick zu behalten.

Fragmentierung der Softwarelandschaft als Ausgangspunkt

Beschäftigen sich Kanzleien aktiv mit neuer Software und implementieren diese, führt das zu den eingangs beschriebenen Begleitsymptomen. Die Softwarelandschaft besteht nicht mehr nur aus DATEV und beispielsweise Microsoft Office, sondern aus einer Vielzahl an Lösungen für die unterschiedlichsten Zwecke. An diesem Punkt setzen die neuen All-in-one-Anbieter an: Sie versuchen möglichst viele Funktionen und Anwendungen in einer einzigen Software zu zentralisieren – alles außer Steuern. Die Kerngebiete von DATEV, ADDISON und Co., also Kanzleimanagement- und Steuersoftware, bleiben in Großteilen unberührt. Anstatt einer sehr fragmentierten Softwarelandschaft soll es dann eine Anwendung für Kanzleimanagement und Steuern (z. B. DATEV) und eine für alle anderen Anwendungsbereiche geben. Diverse Programmschnittstellen zwischen diesen zwei Softwareanbietern sollen neue Automatismen ermöglichen, manuelle Tätigkeiten reduzieren und Datensilos verhindern. Die Vorteile liegen auf der Hand. Doch wer sind diese Anbieter? Nachfolgend stelle ich Ihnen drei vor.

1. milia.io: Die Bekannten

2021 starteten verheißungsvolle Webinare von milia.io und ließen die Herzen so mancher IT-begeisterter Mitarbeitender in Kanzleien höherschlagen – die Evolution in eine neue Ära automatisierter Prozesse in der Branche sollte beginnen. Videos der vollautomatisierten Bescheidprüfung mithilfe von Robot Process Automation, kurz RPA, und Mandantenplattform für den digitalen Dokumentenaustausch mit integrierter digitaler Signatur sowie ein einfaches Onboarding von Neumandant:innen sorgten für Aufbruchsstimmung in der Branche.

Zwischenzeitlich wurde das Thema RPA im Bescheidprozess von den Entwicklern ad acta gelegt. Neue Funktionen zur besseren Arbeitsorganisation wie Aufgabenmanagement mit Ticketsystem, effizientere Kommunikation dank Mandantenapp und eine Vielzahl an DATEV-Schnittstellen stehen hingegen für eine ausgereiftere Version von milia.io. Ende-zu-Ende Workflows zur Lohnvorerfassung und Finanzbuchhaltung sind in den Startlöchern und sollen für weitere Effizienzgewinne sorgen. Das Gründerteam bestehend aus (z. T. ehemaligen) Geschäftsführern eines IT-Systemhauses für Kanzleien, aus Softwareentwicklung und Prozessautomatisierung, hat von Anfang an mit Steuerkanzleien zusammengearbeitet, um hautnah die Herausforderungen und Nöte der Branche noch besser zu verstehen und ihre Software dahingehend zu entwickeln.

2. UNIZO: Der Herausforderer

Obwohl erst seit kurzem auf dem Markt, reicht die Entstehungsgeschichte von UNIZO schon ein paar Jahre zurück. 2018 sorgte ein Artikel auf der Website steuerkoepfe.de für Furore: „Das macht jetzt mein Bot”. Steuerberater Marcus Ferchland erzählt von der Automatisierung seiner Kanzlei mittels RPA-Technologie von UiPath. Die Software ahmt einfache, repetitive Tätigkeiten nach, die normalerweise vom Menschen am Computer durchgeführt werden. Einmal gelernt, kann so ein Software-Roboter, kurz Bot, diese vielfach innerhalb von Bruchteilen durchführen. 2022 entdeckte er in einem Webinar die CRM-Lösung Zoho und sah deren Möglichkeiten in Kombination mit seinen Bots für die Steuerbranche. So entstand UNIZO – die Verschmelzung zweier Technologieanbieter, zugeschnitten auf DATEV-Steuerkanzleien. Über die Nutzung von so gut wie allen DATEV-Schnittstellen ergibt sich hier eine komplette Vernetzung zwischen DATEV und UNIZO. Selbst die gängigen Microsoft-Produkte wie Office und Teams könnten durch die unzähligen Anwendungen abgelöst werden. UNIZO partizipiert dabei an den großen Entwicklungen zu Big-Data, Automatisierung und KI bei Zoho und UiPath. Nachteile: Der Anbieter ist ganz frisch auf dem Markt, muss Erfahrungen sammeln und sich behaupten. Zudem ist UNIZO aktuell nur für DATEV-Kanzleien verfügbar, die die Lösung Eigenorganisation comfort im Einsatz haben.

3. TaxDome: Die Internationalen

Die Geschichte von TaxDome ähnelt den Gründungsmythen so mancher Technologiefirma, wie sie gerne auf der anderen Seite des Atlantiks geschrieben wird: Zwei Brüder entwickelten für eine Kanzlei eine maßgeschneiderte Software. Fasziniert sahen sie zu, wie die Kanzlei dank ihrer Hilfe von zehn auf 70 Mitarbeitende wuchs. Diese Chancen wollten sie anderen Kanzleien ermöglichen und gründeten 2017 ihr Unternehmen. Heute haben sie über 10.000 Kund:innen in 25 Ländern. Im Gegensatz zu milia.io und UNIZO nennt TaxDome sich selbst Kanzleimanagementsoftware. Sie stoppt also nicht an der Grenze zu Simba, Agenda und DATEV, sondern bietet wirklich alles außer Steuern an. Die technologische Basis scheint auch hier ursprünglich eine CRM-Software gewesen zu sein – also ein Anbieter, der die Kundenbeziehung besser und zielgerichteter gestalten möchte. In den Funktionen ist es heute ein echter Alleskönner, der vor klassischen Aufgaben wie Zeiterfassung und Abrechnung, aber auch Workflow-Automatisierung, digitale Signatur, Mandantenapp und Co. nicht haltmacht. Dem Autor erstmals im Frühjahr 2023 auf einer Messe für Steuersoftware aufgefallen, scheint der Markteinstieg in Deutschland tatsächlich noch nicht lange zurückzuliegen. Die wichtigen DATEV-Schnittstellen sind bisher nur angekündigt, die Gefahr von Datensilos damit akut vorhanden. Andererseits bietet sie so auch Kanzleien außerhalb der DATEV-Welt die Chance, an den technologischen Fortschritten teilzuhaben.

Fazit: All-in-one-Anbieter bieten modularen Einstieg an

Diese drei Anbieter stehen exemplarisch für eine neue und spannende Kategorie an Softwareherstellern in der Steuerbranche. Mit ihrem integrativen All-in-one-Ansatz versprechen sie neuste Software, die gleichzeitig die Probleme einer fragmentierten Softwarelandschaft aufhebt. Wer sich mit Software beschäftigt, weiß aber auch, dass viele Funktionen ebenfalls schnell unübersichtlich wirken können. Dieses Problem haben die Anbieter erkannt und bieten ihrerseits einen modularen Einstieg an. Eine Implementierung, bei der Stück für Stück bestehende Lösungen gekündigt und die neuen Funktionen freigeschaltet werden, scheint hier ratsam. Zudem muss die eigene Arbeitsweise in der Kanzlei mit den Prozessen in der Software synchronisiert werden, um den vollen Nutzen und die Vorteile zu realisieren. Parallelprozesse, im schlimmsten Fall noch auf Papier, stehen dem entgegen. Daher heißt es auch hier, das Kanzleiteam frühzeitig zu sensibilisieren und an Bord zu nehmen.

Trotz der Vorteile von milia.io, UNIZO und TaxDome sind sie zumindest in der deutschen Steuerberaterszene noch nicht großflächig vertreten. Der Trendzyklus steht hier noch am Anfang und die sogenannten „First-Mover“ und „Early-Adopter“ beginnen mit der Einführung dieser Systeme. Für die große Masse an Kanzleien sind die Anbieter noch mehr oder weniger Neuland. Zudem experimentieren gerade größere Kanzleien selbst mit den genannten Technologien wie RPA und Schnittstellen, um ihre Prozesse zu automatisieren und Software zu vernetzen. Diese Möglichkeiten haben kleine Kanzleien selten. Für sie ist es eine Chance, am technologischen Fortschritt zu partizipieren. Die Risiken müssen aber auch erwähnt werden: All-in-one bedeutet auch eine tiefe Abhängigkeit von einem einzelnen Anbieter – im Guten wie im Schlechten.

Die Funktionen der drei vorgestellten Anbieter im Vergleich:

All-in-one-Software

* Stand 08.03.24, Funktionen können abweichen, da sie nicht immer vollständig öffentlich einsehbar sind und stetig weiterentwickelt werden.
[1] DATEV-Ökosystem: Zum Vorteil für alle; URL: https://www.datev-magazin.de/produkte-services/zum-vorteil-fuer-alle-2-92941, abgerufen am 17.02.24

Johannes Franz
Weitere Beiträge

Johannes Franz unterstützt Steuerkanzleien dabei, ihre Produktivität durch gezielte Digitalisierung und Automatisierung zu steigern – und damit zukunftssicher aufzustellen. Nach dem Studium der Organisationsentwicklung arbeitete er als Junior-Berater mit dem Schwerpunkt Reorganisation von Steuerkanzleien. Anschließend war er als Leiter IT & Digitalisierung bei der mittelständischen Steuerberatungsgesellschaft Acconsis tätig. Mit seiner Dienstleistung Chief Digital Officer as a Service (CDOaaS) hilft er Steuerberater:innen, die ihre Kanzlei digitalisieren wollen, im Kanzleialltag aber keine Zeit dazu finden.

Bild: Adobe stock/©TarikVision

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