

Automatisierung ist in Steuerkanzleien längst gelebte Praxis. Doch wie weit reicht sie tatsächlich? Viele Kanzleien arbeiten schon lange mit OCR-Erkennung und Buchungsvorschlägen – andere gehen inzwischen deutlich weiter: von API-basiertem Datenaustausch bis hin zu KI-gesteuerten Workflows und Agentensystemen. In dieser zweiteiligen Artikelreihe stelle ich sieben klar unterscheidbare Stufen der Automatisierung in Kanzleien vor – mit Praxisbeispielen, Werkzeugen und einer strukturierten Checkliste für den Einstieg.
Grafik: Die sieben Stufen der Kanzleiautomatisierung
Bevor wir auf die konkreten Stufen der Kanzleiautomatisierung eingehen, lohnt sich aber ein Blick auf die grundlegenden Begriffe: Digitalisierung, Automatisierung und Künstliche Intelligenz. Was im industriellen Umfeld längst Realität ist – etwa vollautomatisierte Produktionsprozesse durch Roboter – beginnt gerade auch in den Büros Einzug zu halten. Die Veränderung ist dort weniger laut und sichtbar, aber in ihrer Wirkung nicht minder tiefgreifend.
Digitalisierung, Automatisierung und KI
Wenn wir über Automatisierung sprechen, denken viele zuerst an Roboter in Autofabriken, die scheinbar vollautonom Fahrzeuge zusammenschweißen, lackieren und montieren. Dieses Bild ist hilfreich, um die Abgrenzung zwischen den Begriffen Digitalisierung, Automatisierung und Künstlicher Intelligenz (KI) zu verdeutlichen.
Digitalisierung dient dabei oft als Sammelbegriff für den übergeordneten Megatrend, der tiefgreifende technologische, organisatorische und kulturelle Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft beschreibt. Unter diesem Dachbegriff lassen sich auch Automatisierung und Künstliche Intelligenz einordnen. Digitalisierung bedeutet aber auch den Akt des Digitalisierens, also analoge Informationen in digitale Form zu überführen. In der Autofabrik wäre das z. B. die Umstellung auf papierlose Fertigungsunterlagen, bei der statt physischer Pläne digitale Informationen in Echtzeit in die Produktionssysteme eingespeist werden.
Automatisierung beschreibt darauf aufbauend die Ausführung wiederkehrender Aufgaben durch Maschinen oder Systeme. Ein klassischer Roboterarm, der standardisiert Schweißpunkte setzt, handelt automatisiert – er folgt festgelegten Regeln, ohne zu „verstehen", was er tut.
Künstliche Intelligenz hingegen befähigt Systeme, selbstständig Muster zu erkennen, Entscheidungen zu treffen und mit neuen Situationen umzugehen. In unserem Beispiel wären das Roboter, die auf Abweichungen im Fertigungsprozess reagieren, sich selbst neu kalibrieren oder eigenständig den optimalen nächsten Arbeitsschritt ermitteln.
Übertragen auf Steuerkanzleien lässt sich sagen: Digitalisierung schafft die technische Grundlage, Automatisierung sorgt für Effizienz – und KI eröffnet neue Spielräume für dynamische und intelligente Prozessgestaltung.
Stufe 1: Integrierte Funktionen in Kanzleisoftware – Nutzen, was schon da ist
Dabei sind viele Automatisierungen bereits heute in der gängigen Kanzleisoftware enthalten – ohne zusätzliche Lizenzkosten oder technische Hürden. DATEV stellt in der Buchhaltung Funktionen wie den „Periodenabschluss" oder die Nutzung von „Lerndateien" bereit, mit denen sich Bankbuchungen automatisieren lassen.
Im Lohnbereich lassen sich Abrechnungen für die Mandantschaft mit gleichbleibenden monatlichen Bezügen oder vordefinierten Mandantengruppen automatisiert erstellen. Auch die Funktion „Erklärung abschließen" in den Steuerprogrammen, analog zum Periodenabschluss in der Fibu, ist ein Beispiel für integrierte Automatisierung – hier können definierte Schritte, wie die Ablage der Erklärung im Dokumentenmanagementsystem oder das Senden der Erklärung an das Finanzamt automatisch angestoßen und durchgeführt werden. ADDISON bietet mit dem Modul Scannen-Buchen-Archivieren (SBA) insbesondere durch die Anlage von Regeln die Erstellung von vollständigen Buchungsvorschlägen an.
Auch die OCR-Erkennung (Optical Character Recognition), die Belegfelder analysiert und Buchungsvorschläge erzeugt, wie in ADDISON OneClick oder DATEV Unternehmen Online, zählt zu diesen Basistechnologien.
Oft sind diese Funktionen vorhanden, werden aber nicht konsequent eingerichtet oder genutzt. Dieses Potenzial gibt es auch heute noch in vielen Kanzleien – die bestehende Kanzleisoftware intensiv zu nutzen und ihre Möglichkeiten auszureizen sollte daher das erste Ziel sein.
Stufe 2: Dateiimporte und Datenkonvertierung – Automatisieren ohne Schnittstelle
Eine ebenfalls schon lange etablierte Form der Automatisierung ist das Einspielen von Rechnungsdaten aus Vorsystemen wie Warenwirtschafts- oder Faktura-Software in die Finanzbuchhaltung sowie von Bewegungsdaten aus Zeiterfassungssystemen oder Excel-Dateien in die Lohnbuchhaltung – also direkt aus den Systemen der Mandantschaft in die Kanzleiprozesse.
Durch den Import solcher Datensätze mittels Datei-Schnittstellen aus den Quellsystemen in die Kanzleisoftware entfällt die manuelle Verarbeitung von Belegen in der Kanzlei gänzlich. Das wohl älteste und bekannteste Format in diesem Zusammenhang ist das ASCII-Format. ASCII steht für „American Standard Code for Information Interchange" und bezeichnet einen Zeichensatz-Standard für Textdaten und deren Austausch. Liegen die Daten aus den Vorsystemen nicht standardisiert vor – etwa weil selbsterstellte Excel-Tabellen verwendet oder unbekannte Export-Dateien genutzt werden – lassen sich diese mithilfe von Konvertierungstools wie dem Lohnkonverter von dekodi oder Microsoft Power Query dennoch automatisiert aufbereiten. So werden manuelle Tätigkeiten wie das Kopieren und Umformatieren überflüssig – und auch die Fehleranfälligkeit sinkt deutlich.
Diese zweite Stufe dominierte lange Zeit gerade in der Finanzbuchhaltung in Kanzleien. Durch den zunehmenden Einsatz standardisierter Programmschnittstellen, vor allem bedingt durch den Strategiewechsel der DATEV hin zu einem offenen Ökosystem, gewinnt der automatisierte Austausch von Daten jedoch stetig an Bedeutung. Datei-Importe und Konvertierungen verlieren dadurch zwar an Relevanz, bleiben aber weiterhin wichtig – vor allem bei einmaligen Datenübernahmen oder in Fällen, in denen keine direkte Schnittstelle zur Verfügung steht.
Stufe 3: Programmschnittstellen (APIs) – Medienbrüche endlich vermeiden
Die direkte Kommunikation zwischen Software-Anwendungen über Programmschnittstellen hebt die Automatisierung auf ein neues Niveau. APIs (Application Programming Interfaces) ermöglichen den Echtzeit-Datenaustausch zwischen Systemen. Bei DATEV heißen diese Schnittstellen „Datenservices“, bei ADDISON wird die „SmartConnect“-Funktion genutzt. Sie erlauben es beispielsweise, Buchungssätze von Ausgangsrechnungen aus Faktura- oder Warenwirtschaftssystemen automatisiert in die Buchhaltung zu übernehmen. Das reduziert Medienbrüche, spart Zeit und erhöht die Datenqualität.
Ein wesentlicher Treiber dieser Entwicklung war der Strategiewechsel der DATEV: Weg vom Alles-aus-einer-Hand-Prinzip hin zu einem offenen Ökosystem, das die Anbindung von Drittanwendungen aktiv fördert – und das heute technisch deutlich einfacher ist als noch vor zehn Jahren. Die Einführung der E-Rechnungspflicht bis 2028 wird diesen Trend weiter verstärken, insbesondere bei kleinen Unternehmen, die bislang mit Word oder Excel gearbeitet haben. Für Kanzleien ergibt sich daraus die Chance, neue Mandantensysteme direkt per API an das Kanzleisystem anzubinden.
Ein zentraler Erfolgsfaktor beim Einsatz von Programmschnittstellen ist die Datenqualität im Vorsystem. Wenn die Mandantschaft nicht sauber arbeitet, Stammdaten nicht gepflegt sind oder Felder abweichend vom Standard genutzt werden, gelangen diese Unstimmigkeiten ungefiltert in das Kanzleisystem.
Die Folge: hoher Nachbearbeitungsaufwand. Deshalb sollte jede Anbindung sorgfältig vorbereitet werden – durch eine technische Prüfung der Software beim Mandanten, ggf. Anpassungen in der Nutzung und die Bereinigung der Datenstruktur. Nur so lässt sich verhindern, dass es am Ende heißt: „garbage in, garbage out“.
Diese Entwicklung verändert auch die Rollen in der Kanzlei: Klassische Buchhaltungsaufgaben wandeln sich zunehmend hin zu Tätigkeiten als Schnittstellenmanager, Datenanalyst oder Prozessbegleiter.
Auch in der Lohnabrechnung ist ein solcher Wandel sichtbar: Die etwas zurückliegende Diskussion um die Pflicht zur digitalen Zeiterfassung erinnert an den E-Rechnungs-Moment in der Buchhaltung. Nachdem das Bundesarbeitsgericht 2022 die EU-Richtlinie von 2019 zur verpflichtenden Arbeitszeiterfassung bestätigt hat, liegt ein erster Entwurf für eine digitale Zeiterfassung vor – aktueller Status ungewiss.
Stufe 4: Workflow-Engines – Prozesse verbinden, ohne zu programmieren
Die Programmierung individueller Schnittstellen kann sehr aufwendig und kostenintensiv sein. Für vernetzte Softwarelandschaften – die wiederum die Grundlage für digitale Prozesse und Automatisierung bilden – sind Schnittstellen jedoch essenziell. Aus dieser Herausforderung heraus hat sich in den letzten Jahren eine eigene Softwaregattung entwickelt, die sich der nahtlosen Integration von Cloud-Anwendungen auf No- oder Low-Code-Basis verschrieben hat. Das heißt: Es werden keine oder nur geringe Programmierkenntnisse benötigt.
Zu den bekanntesten Vertretern zählen Zapier und make.com. Sie ermöglichen auf einfache, visuelle Weise die Verbindung unterschiedlichster Softwareanwendungen zu durchgehenden Prozessabläufen – ganz ohne Programmierung. Hunderte Anbieter sind bereits integriert, und viele vorgefertigte Prozessvorlagen lassen sich mit wenigen Klicks aktivieren. Auch Microsoft bietet mit Power Automate eine solche Lösung an. Die sogenannten Cloud-Flows ermöglichen es, nicht nur Microsoft-Tools wie Outlook, Teams oder Bookings zu verknüpfen, sondern auch Drittsysteme einzubinden. So lassen sich Genehmigungsprozesse, Social-Media-Postings, Recruiting-Workflows oder die automatische Aufgabenerstellung per Trigger oder Zeitsteuerung anstoßen. Problematisch für Kanzleien: Die gängigen Kanzleisoftware-Anbieter sucht man auf den Plattformen vergeblich. Eine direkte Anbindung ist nicht ohne weiteres möglich.
Daher ist das Automatisierungspotenzial der genannten Workflow-Engines in der Steuerbranche bislang begrenzt – etwa wenn Kanzleien Cloud-Lösungen im Marketing einsetzen, Microsoft-Dienste wie Teams oder Planner für interne und externe Kommunikation nutzen oder im Personalbereich mit Tools außerhalb der Kanzleisoftware arbeiten. Eine interessante Entwicklung zeigt sich jedoch innerhalb der Branche: Anbieter von Kollaborationslösungen wie milia.io oder taxdome ermöglichen mittlerweile branchenspezifische Workflows, z. B. für die digitale Unterschrift oder Dokumentenprozesse. Da diese Lösungen über Schnittstellen zur Kanzleisoftware verfügen, bieten sie zunehmend Funktionen, mit denen Kanzleien ihre Workflows selbst gestalten und anpassen können – ganz ohne externe Entwickler.
Wie Sie diese Basis nutzen können, um Systeme für Ihre Kanzlei arbeiten zu lassen und ganze Prozesse auf diese zu übertragen, erfahren Sie in Teil 2 zur Kanzleiautomatisierung.
Johannes Franz unterstützt Steuerkanzleien dabei, ihre Produktivität durch gezielte Digitalisierung und Automatisierung zu steigern – und damit zukunftssicher aufzustellen. Nach dem Studium der Organisationsentwicklung arbeitete er als Junior-Berater mit dem Schwerpunkt Reorganisation von Steuerkanzleien. Anschließend war er als Leiter IT & Digitalisierung bei der mittelständischen Steuerberatungsgesellschaft Acconsis tätig. Mit seiner Dienstleistung Chief Digital Officer as a Service (CDOaaS) hilft er Steuerberater:innen, die ihre Kanzlei digitalisieren wollen, im Kanzleialltag aber keine Zeit dazu finden.
- Johannes Franzhttps://tax-tech.de/autor/johannes-franz/
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