

In Teil 1 der zweiteiligen Artikelreihe zur Kanzleiautomatisierung habe ich beleuchtet, wie man den Grundstein für die sinnvolle Ausführung wiederkehrender Aufgaben legt – beispielsweise, indem Sie die integrierten Funktionen Ihrer Kanzleisoftware besser nutzen und Medienbrüche durch Schnittstellen vermeiden. In Teil 2 geht es nun darum, wie Sie diese Basis nutzen können, um Systeme für Ihre Kanzlei arbeiten zu lassen und ganze Prozesse darauf zu übertragen.
Grafik: Die sieben Stufen der Kanzleiautomatisierung
Stufe 5: Robotic Process Automation (RPA) – Klickstrecken automatisieren, wo Schnittstellen fehlen
Ein Grund, warum Kanzleisoftware-Anbieter wie DATEV und ADDISON in den gängigen Workflow-Engines bisher kaum vertreten sind, liegt darin, dass viele ihrer Anwendungen noch nicht vollständig cloudbasiert sind. Ein Großteil der Kanzleisoftware läuft lokal – also „on-premise“ – auf Servern der Kanzlei oder deren IT-Dienstleister. Das erschwert den Einsatz moderner, skalierbarer Schnittstellenlösungen. Um dennoch Prozesse zu automatisieren, setzen einige Kanzleien auf Robotic Process Automation (RPA): eine Technologie, bei der sogenannte Bots Routineaufgaben übernehmen, indem sie menschliche Klick- und Eingabefolgen nachahmen.
Bekannt wurde der Ansatz in der Steuerbranche 2018 durch StB Marcus Ferchland, der mithilfe der Software von UiPath eine Vielzahl manueller Tätigkeiten automatisierte – darunter die Fertigstellung und der Versand von Steuererklärungen in der DATEV-Software. Weitere Anbieter wie Automation Anywhere bieten ebenfalls Low- und No-Code-Lösungen, sind jedoch nicht so intuitiv bedienbar wie etwa Zapier oder make.com. Daher setzen viele Kanzleien auf spezialisierte Dienstleister wie Robotics First, die vorkonfigurierte RPA-Bots beispielsweise für die Bescheidprüfung zur Verfügung stellen. Einen alternativen Ansatz verfolgt Wianco OTT Robotics mit ihrer kognitiven RPA-Lösung „Emma“.
Ziel ist es, dass Kanzleimitarbeitende nach einer zweitägigen Schulung eigene Automatisierungen umsetzen können. In der Praxis zeigt sich, dass insbesondere IT-affine Mitarbeitende diese Möglichkeiten nutzen und der Zugang zur Technologie einfach fällt.
Wichtig bleibt die strategische Frage: Make or Buy? Wer RPA intern versteht, kann auch die Mandantschaft bei ihrer Prozessautomatisierung beraten – ein Geschäftsfeld, gerade wenn die Umsätze mit klassischer Buchhaltung wegfallen.
Stufe 6: Agentic Workflows – KI-Modelle in Prozesse integrieren
Large Language Models (LLMs) wie ChatGPT automatisieren bereits einzelne Aufgaben, etwa die Text- oder Bildgenerierung im Marketing. Branchenspezifische Systeme wie Deubner Tax KI oder Otto Schmidt Answers unterstützen bei Recherchen zu Fachfragen. Doch der praktische Einsatz zeigt schnell Grenzen: Ergebnisse aus dem Chat müssen häufig manuell in E-Mail-Programme oder Vorlagen übertragen, Adressen ergänzt und Inhalte angepasst werden. Das macht deutlich: Solche KI-Modelle sind oft nicht in bestehende Prozesse integriert – es entstehen Medienbrüche. Den vollen Nutzen entfalten sie erst, wenn sie nahtlos in Arbeitsabläufe eingebunden sind. Genau das leisten sogenannte Agentic Workflows.
Workflow-Engines wie make.com und Zapier sowie RPA-Plattformen wie UiPath integrieren zunehmend KI-Modelle, um Inhalte zu analysieren, zu generieren oder Entscheidungen innerhalb eines automatisierten Prozesses zu treffen. Ein prominenter deutscher Anbieter ist n8n, der für seine Flexibilität und die Möglichkeit zum Selbst-Hosting geschätzt wird – letzteres wird insbesondere aus Datenschutzgründen immer relevanter. Allerdings bleiben die Herausforderungen bestehen, wenn On-Premise-Kanzleisoftware nicht mit diesen Lösungen kompatibel ist. Systeme mit ergänzender RPA-Funktionalität sind hier im Vorteil. Dennoch experimentieren viele Steuerkanzleien aktiv mit den neuen Möglichkeiten – insbesondere bei internen Abläufen, die außerhalb der klassischen Fachanwendungen liegen.
Auch spezialisierte Softwarelösungen innerhalb der Steuerbranche integrieren zunehmend KI. Ein Beispiel ist Finmatics, das sich auf den digitalen Belegeingang konzentriert. Mithilfe von KI werden dort Belege erkannt, getrennt und ausgelesen. Ergänzt wird dieser Ansatz durch ein sogenanntes Human-in-the-Loop-Modell: Ein menschlicher Blick korrigiert unklare oder fehlende Informationen. Aus den erfassten Daten wird dann mittels KI ein Buchungssatz erstellt, der über eine Schnittstelle direkt in die Kanzleisoftware übertragen werden kann. Aber auch milia.io integriert KI immer weiter in die bestehende Lösung. Ob diese dann mit selbst erstellten Workflows kombiniert werden kann, ist noch nicht klar. Es wäre aber ein großer Schritt in die richtige Richtung!
Ein weiteres Beispiel: DATEV setzt im Rechnungswesen auf KI-gestützte Automatisierungsservices – etwa beim Automatisierungsservice Rechnungen oder dem Automatisierungsservice Bank. Bei letzterem entstehen z. B. aus elektronischen Bankbewegungen, die über die Schnittstelle „Bankdatenservice" ins Kanzlei-Rechnungswesen kommen, automatisch vollständige Buchungsvorschläge.
Diese Beispiele verdeutlichen eindrucksvoll, wie der Einsatz von Schnittstellen nicht nur die Digitalisierung und Automatisierung vorantreibt, sondern erst die Basis für den Einsatz intelligenter Prozesse und Systeme schafft.
Stufe 7: KI-Agenten – Autonome digitale Akteure im Kanzleialltag
KI-Agenten gehen einen erheblichen Schritt weiter: Sie agieren autonom, verfolgen ein Ziel, wählen selbstständig passende Tools aus und passen ihre Strategie dynamisch an. Anders als bei Agentic Workflows sind sie nicht lediglich ein Bestandteil oder eine Entscheidungsinstanz innerhalb eines festgelegten Prozesses – sie können eigenständig verschiedene Prozesse initiieren.
Das geht weit über intelligente Chatbots hinaus, die beispielsweise nach einer Nutzeranfrage eine E-Mail an einen Sachbearbeiter senden. Ein KI-Agent analysiert eigenständig die Situation und entscheidet situativ: Erkennt er, dass ein Interessent nicht zum Kanzleiprofil passt, kann er absagen. Hält er das Anliegen für ein potenzielles A-Mandat, vereinbart er direkt einen Termin. Besteht der Wunsch nach persönlichem Kontakt, leitet er an eine menschliche Ansprechperson weiter. Wird eine technische Supportanfrage erkannt, gibt er diese an einen spezialisierten KI-Agenten oder Mitarbeitende im IT-Support weiter.
Ein KI-Agent handelt also rollen- und kontextbezogen, trifft Entscheidungen selbstständig, wählt geeignete Werkzeuge und stößt gezielt Prozesse an, wenn dies notwendig erscheint. Denkbar für den Kanzleialltag: Ein Agent prüft regelmäßig, ob Unterlagen oder Daten fehlen, verschickt automatische Erinnerungen, kontrolliert eingehende Dokumente auf Vollständigkeit und startet bei Erfolg den entsprechenden Verarbeitungsprozess.
Diese Technologie ist noch jung – doch mit der rasanten Weiterentwicklung von KI-Modellen sowie deren Integration in eigene Wissensquellen, Tools und Systeme eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten. Es entsteht eine neue Stufe der Automatisierung, die derzeit ihren Anfang nimmt – und das Potenzial hat, Kanzleiprozesse, wie wir sie heute kennen, grundlegend zu verändern.
Kanzleiautomatisierung heute – und was morgen zählt
Vieles in der Leistungserstellung steht und fällt mit der Kanzleisoftware. Daher ist es umso wichtiger, bestehende Funktionen konsequent zu nutzen (Stufe 1) und auch etablierte Verfahren wie Dateiimporte und Konvertierungen (Stufe 2) gezielt einzusetzen, wenn keine Schnittstellen vorhanden sind. Durch den Strategiewechsel bei DATEV hin zu einem offenen Ökosystem gewinnen Programmschnittstellen (Stufe 3) zunehmend an Bedeutung – ebenso wie neue Rollen in der Kanzlei, etwa als Schnittstellenmanager oder Datenkoordinator.
Wo APIs fehlen oder interne Abläufe über mehrere Anwendungen hinweg orchestriert werden sollen, bieten Workflow-Engines (Stufe 4) sowie RPA-Lösungen (Stufe 5) praxistaugliche Werkzeuge, um Prozesse automatisiert und effizient abzubilden. Mit Agentic Workflows (Stufe 6) kommt eine neue Qualität hinzu: KI-Modelle wie ChatGPT übernehmen Entscheidungen, Zwischenprüfungen und Interaktionen innerhalb definierter Prozessketten. Und mit KI-Agenten (Stufe 7) entsteht eine neue Klasse digitaler Akteure, die eigenständig agieren, analysieren, priorisieren und Prozesse initiieren – ohne menschliche Vorgabe im Einzelfall.
Kanzleien müssen diese Entwicklung nicht von heute auf morgen mitgehen. Doch ein strategischer Blick auf die bestehenden und künftigen Möglichkeiten ist dringend geboten – nicht zuletzt, weil die etablierten Kanzleisoftware-Anbieter den Weg in die moderne Automatisierung mit ihren weit verbreiteten On-Premise-Lösungen bislang eher bremsen als beschleunigen. Während andere Branchen längst vollständig cloudbasiert arbeiten und dadurch neue Technologien unkompliziert integrieren können, müssen Steuerkanzleien häufig mit hybriden Lösungen und begrenzten Schnittstellen arbeiten. Hier sind die Anbieter von Kanzleisoftware gefordert, endlich nachzuziehen und den Weg für moderne, vernetzte und KI-gestützte Arbeitsweisen aktiv mitzugestalten.
Aber auch ohne perfekten technischen Unterbau lassen sich schon heute viele Automatisierungspotenziale ausschöpfen. Wer die einzelnen Stufen kennt und gezielt angeht, kann Automatisierung greifbar machen – für mehr Qualität, Entlastung im Alltag und eine langfristig zukunftsfähige Kanzlei.
Checkliste zum Einstieg in die Automatisierung
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- Status Quo prüfen: Welche digitalen Funktionen Ihrer Kanzleisoftware nutzen Sie bereits aktiv – und welche sind vorhanden, aber ungenutzt (Stufe 1)?
- Datenflüsse analysieren: Wo erfassen Sie noch manuell Daten, obwohl Dateiimporte oder Konvertierungstools möglich wären (Stufe 2)?
- Schnittstellenpotenziale identifizieren: Welche Mandantinnen und Mandanten arbeiten mit Systemen, die per Programmschnittstelle angebunden werden könnten – und wo bleiben vorhandene APIs ungenutzt (Stufe 3)?
- Prozesse abteilungsübergreifend denken: Gibt es wiederkehrende Aufgaben, z. in der Kommunikation, im Personalbereich oder in der Mandatsaufnahme, die sich mit Workflow-Engines automatisieren lassen (Stufe 4)?
- Klickstrecken erkennen: Welche manuell durchgeführten Klickprozesse könnten durch RPA-Bots automatisiert werden – und haben Sie internes oder externes Know-how dafür (Stufe 5)?
- KI sinnvoll einsetzen: In welchen Abläufen kann der Einsatz von KI-Modellen wie GPT bereits heute unterstützen – etwa bei Texterstellung, Prüfung oder Kategorisierung (Stufe 6)?
- Zukunft mitdenken: Wo in Ihrer Kanzlei wäre der Einsatz autonomer KI-Agenten langfristig sinnvoll – z. in der Mandantenkommunikation oder Prozesssteuerung (Stufe 7)?
- Kompetenzen im Team: Wer in Ihrem Team bringt technisches Verständnis mit – und welche Schulungen oder Unterstützung wären hilfreich?
- Nächsten Schritt definieren: Welche Stufe ist für Ihre Kanzlei als nächstes realistisch, machbar und wirkungsvoll?
Johannes Franz unterstützt Steuerkanzleien dabei, ihre Produktivität durch gezielte Digitalisierung und Automatisierung zu steigern – und damit zukunftssicher aufzustellen. Nach dem Studium der Organisationsentwicklung arbeitete er als Junior-Berater mit dem Schwerpunkt Reorganisation von Steuerkanzleien. Anschließend war er als Leiter IT & Digitalisierung bei der mittelständischen Steuerberatungsgesellschaft Acconsis tätig. Mit seiner Dienstleistung Chief Digital Officer as a Service (CDOaaS) hilft er Steuerberater:innen, die ihre Kanzlei digitalisieren wollen, im Kanzleialltag aber keine Zeit dazu finden.
- Johannes Franzhttps://tax-tech.de/autor/johannes-franz/
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