Papierlose Kanzlei

Von Cordula Schneider

Laut dem Bitkom Digital Office Index 2022 waren ganze acht Prozent der Unternehmen in Deutschland komplett papierlos. Ich möchte gerne glauben, dass Steuerkanzleien an dieser Zahl überdurchschnittlich beteiligt sind. Nur: Meine Erfahrung sagt etwas anderes. Ein Großteil der Kanzleien arbeitet noch in allen Kanzleibereichen überwiegend mit Papier. Die Kanzleien, die schon weitgehend papierlos sind, kämpfen mit den berühmten „letzten 20 Prozent“ der und Mandant:innen und/oder Mitarbeitenden (manchmal auch Chef:innen), die noch am Papier „kleben“.

Laut einer anderen Umfrage (Fujitsu Image Scanners Organisational Intelligence Research Report 2020) glaubten im Jahr 2020 61 Prozent der Unternehmen, ein komplett papierloses Arbeiten sei unmöglich. 56 Prozent der Dokumente waren „damals“ sowohl in Papier- als auch in digitaler Form vorhanden. Wie auf so vielen Digitalisierungsebenen sind wir also auch hier „hybrid“ unterwegs. Für einen Überganszeitraum meist unvermeidlich, auf Dauer höchst ineffizient.

Warum aber ist es sinnvoll, sich für die papierlose Arbeit zu entscheiden? Im Folgenden nenne ich Ihnen nicht nur die vielen Vorteile der papierlosen Arbeit, sondern verrate Ihnen auch, wie Sie das Projekt konkret umsetzen können.

1. Warum – die Gründe für eine papierlose Kanzlei

Als Pragmatikerin geht es mir nicht darum, „hipp“ zu sein. Die papierlose Welt ist kein Selbstzweck – wie die gesamte Digitalisierung. Es geht darum, unsere Arbeitsergebnisse in der vereinbarten Qualität zum geplanten Zeitpunkt mit möglichst wenigen Ressourcen zu erstellen. Es gibt also knallharte Gründe für das papierlose Arbeiten:

  • Grund 1: Ressourcen sparen
    Auf den ersten Blick: Papier sparen. Dabei sind die Kosten nicht der entscheidende Faktor. Die gewichtigere Einsparung ist Zeit. Zeit, die sonst im Papier-Fünfkampf verloren geht: Kopieren. Lochen, Abheften, Akten bewegen, Suchen. Das kostet in Kanzleien bis zu 30 Minuten pro Mitarbeiter:in und Tag. Natürlich schont der Verzicht auf Baumscheiben die Umwelt. Außerdem können Sie den Platz im Büro, den bisher Aktenschränke eingenommen haben, sparen oder für schönere Zwecke verwenden. Übrigens: Bei jungen Mitarbeitenden punkten Sie mit der Besichtigung des Aktenarchivs am ersten Arbeitstag so richtig – wenn Sie sich als rückständig darstellen wollen.
  • Grund 2: Auskunftsbereitschaft verbessern
    Der Zugriff auf die Dateien während des Mandantenkontaktes ist viel leichter und schneller, wenn alle Dokumente digital vorliegen. Damit demonstrieren Sie Ihre Professionalität.
  • Grund 3: Informationsmanagement intern verbessern
    Homeoffice oder Außendienst bei den Mandant:innen? Mit Papierakten heute undenkbar. Der riesige Vorteil der papierlosen Arbeit: Jede:r hat jederzeit Zugriff auf die Dokumente und Informationen, die er oder sie für die eigene Arbeit benötigt.

2. Warum nicht – die Hindernisse

Der Punkt Datensicherheit wird hier am häufigsten genannt. Die „Verlustängste“ sind oft groß. Fakt ist: Jede Cloud ist heute sicherer als Ihr Kanzleikeller. Der Datenschutz ist in Deutschland und besonders in unserer Branche ein weiteres Hindernis, technisch aber mittlerweile wirklich gut lösbar.

Zusätzlich wird die Suche im DMS (Dokumenten-Management-System) als mühsam und langsam empfunden.

Gegenbeispiel: Sie heften per Papier ein Dokument versehentlich in eine falsche Mandantenakte – die Wiederfindungsquote ist quasi Null. Nur durch langwieriges „Erinnerungsmanagement“ gelingt es vielleicht. Digital über die Volltextsuche ist das Wiederfinden des Dokuments kein Problem.

Ein weiteres Hindernis ist die „Haptik-Verliebtheit“ des Menschen. Wir fassen einfach gern Dinge an. In der Pandemie gab es Kanzleien, die jede Eingangspost desinfiziert haben, damit sie angefasst werden konnte.

Dem Projekt papierlose Kanzlei geht es aber hier wie allen anderen Veränderungsprojekten. Die Beteiligten durchlaufen die „Veränderungskurve“ nach Kübler-Ross: Schock – Leugnung – Einsicht – Tal der Tränen – Akzeptanz – Ausprobieren – Integrieren. Die eine durchläuft die Kurve schnell, der andere braucht etwas länger. Durch ein gutes Projektmanagement erleichtern Sie Ihren Mitarbeitenden die Veränderung und beschleunigen so den Fortschritt in der Kanzlei.

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3. Projekt papierlose Kanzlei – die Umsetzung

3.1 Die Entscheidung

Am Beginn steht Ihre bewusste Entscheidung für ein papierloses Arbeiten und Ihre klare Kommunikation gegenüber den Mitarbeitenden, Mandant:innen und anderen Geschäftspartner:innen, dass Sie papierloses Arbeiten in der Kanzlei einführen werden. Folgende Punkte sollten Ihnen zu Beginn des Projekts klar sein:

  • Ziel: 100 Prozent papierlos – verwässern Sie das Ziel nicht gleich zu Beginn. Wenn Ihre Mitarbeitenden während des Projektes mit echten Argumenten kommen, an der einen oder anderen Stelle beim Papier zu bleiben, können Sie immer noch entscheiden. Sie möchten von mir ein Beispiel für ein solches „echtes“ Argument? Sorry, da fällt mir wirklich nichts ein.
  • DMS als Referenzsystem
    Klar muss sein, dass alle Dokumente in der DMS abgelegt werden. Bei Ihnen gibt es noch frei gegebene Serverlaufwerke im Explorer? Sie haben noch kein DMS? Dann haben Sie Ihre ersten Prozessschritte bereits identifiziert.
  • Scannen wir das „Alt-Papier“?
    Hier beobachte ich unterschiedliche Vorgehensweisen. Es gibt durchaus Kanzleien, die selbst (bitte nicht!), mit Scandienstleistern oder Hilfskräften den gesamten Altbestand scannen. Andere fahren zweigleisig, bis sich die Zeiträume erledigt haben.
    Die vernünftigste Vorgehensweise aus meiner Sicht: Scannen Sie die „Dauer-Dokumente“ wie Verträge und Grundlagenbescheide ein. Alles andere bleibt als Papier noch in der Kanzlei.
    Tipp: Am besten machen Sie den Weg zum Papier weit und möglichst beschwerlich (Keller, Dachboden etc.).

3.2 Projekt aufsetzen

Mit der Entscheidung für die papierlose Kanzlei haben Sie gefühlt ab sofort 100 Baustellen, also ein Mammutprojekt. Wie isst man laut Loriot am besten einen Elefanten? Richtig: in Scheiben. Die Kunst ist es, das Projekt Zero Paper in Teilprojekte zu gliedern, die überschaubar bleiben. Seien Sie mit sich und Ihrer Kanzlei ehrlich: Wie viele Projekte gleichzeitig sind möglich und sinnvoll? Das hängt nicht zuletzt von Ihren Ressourcen ab. Wie viel Zeit ist da? Gibt es genau eine:n Projektleiter:in (Sie?) oder kann das Projekt auf mehrere Schultern verteilt werden?

Tipp: Bei aller Vielfalt der schicken, neuen Tools: Nutzen Sie zuerst die vorhandenen Möglichkeiten Ihrer Kanzleisoftware aus und denken Sie auch über einen externen Dienstleiter nach.

3.2.1 Vorgehen nach Prozessen

Betrachten Sie Ihre Kanzlei bei diesem Projekt durch die Prozessbrille. Und stellen Sie jeweils zwei Fragen:

  • Wo in den Prozessen kommt heute in unserer Kanzlei noch Papier vor?
  • Wie bekommen wir es weg?

Sinnvoll ist folgende Vorgehensweise:

  • Papierlose Sachbearbeitung intern
    Hier geht es meist um Dokumente wie Arbeitspapiere und Unterlagen zur Durchsicht.

Beispiel: Die Kombination von Vollmachtsdatenbank und vorausgefüllter Steuererklärung macht so manchen Papierbeleg in der Einkommensteuer überflüssig.

  • Papierlose Abwicklung der internen Organisation
    Beim Posteigang gilt es, die Postassistenten Ihres DMS gut zu nutzen.

Beispiel: Der Prozess Bescheidverarbeitung ist heute bei den meisten Anbietern digitalisiert: Vom Eingang des elektronischen Bescheids über die automatische Erkennung und Ablage im DMS bis zur Abwicklung eines Einspruchsverfahrens.

  • Papierlose Zusammenarbeit mit den Mandant:innen
    Der Posteingang und -ausgang ist hier einer der zentralen Prozesse. Es gibt mittlerweile Dienstleister (Post/DATEV), die Ihre Eingangspost scannen, sodass sie bereits digital bei Ihnen ankommt. Auswertungen und Briefe an die Mandantschaft können ebenfalls digital versendet werden. Die andere große Baustelle ist der digitale Belegaustausch mit den Mandant:innen.

3.2.2 Der Papiertiger-Workshop – alles auf den Tisch

Um sich einen Überblick zu verschaffen, empfehle ich Ihnen einen Start-Workshop mit allen Kanzleimitgliedern. Und hier nutzen wir tatsächlich noch gerne Papier! Teilen Sie die Mitarbeitenden nach den Prozessen ein, die sie vorrangig bearbeiten.

Jede Gruppe identifiziert für „ihren“ Prozess die Dokumente, die heute in Papierform genutzt werden. Jedes Dokument kommt mit einem Post-it® an die Wand. Im nächsten Schritt entwickeln Sie Ideen, wo die Kanzlei wie auf das Papier verzichten kann.

Der Effekt: Es wird insgesamt klar, wieviel Papier in der Kanzlei noch genutzt wird – ich mache bei solchen Workshops die Erfahrung, dass die Papiermenge stark unterschätzt wird. Zusätzlich ergeben sich meist Maßnahmen, die prozessübergreifend angegangen werden können.

4. Tipps und Tricks

Folgende Maßnahmen habe ich im Laufe der Zeit angewendet bzw. aufgeschnappt:

  • Schaffen Sie den Drucker ganz ab bzw. reduzieren Sie die Anzahl deutlich und erschweren Sie den Weg dorthin.
  • Nehmen Sie als Chefin oder Chef kein Papier mehr von Ihren Mitarbeitenden an – Konsequenz gewinnt.
  • Heben Sie die Post-its® vom Start-Workshop auf – und streichen Sie sie bei den Kanzleibesprechungen dick mit rot durch, wenn sie „eliminiert“ wurden.
  • Verwenden Sie das ersparte Papierbudget
    für ein Extra-Teamevent oder eine Patenschaft für einen „Papiertiger“ im lokalen Zoo.

5. Fazit: Vom Papiertiger zum professionellen Digital-Löwen

Kanzleien, die bereits weitgehend papierlos arbeiten, sind begeistert – und zwar nicht nur die Chefinnen und Chefs. Die Übersicht, die leichtere Wiederauffindbarkeit und damit nicht nur die transparentere Bearbeitung intern, sondern auch der verbesserte Service für die Mandant:innen ist ein großer Schritt in eine noch professionellere Zukunft, und zugleich das optimale Einstiegsprojekt für die weitere Digitalisierung. Denn wenn einmal papierlos gearbeitet wird, sind die nächsten Projekte fast die logische Konsequenz:

  • „Wir gehen in die Cloud.“
  • „Wir arbeiten mit einem Mandantenportal.“
  • „Wir nutzen konsequent Schnittstellen.“
  • „Wir buchen real time.“

Alle diese Themen eignen sich als „Jahres-Mottoprojekt“. So haben Sie für Ihre Digitalisierungsprojekte immer eine Klammer, unter der sich die „100 Baustellen“ einreihen.

Das letzte Projekt könnte dann lauten: „Wir arbeiten komplett out-of-office“. Buchführung auf Bali? Mal sehen. Ich bleibe gespannt.

Seit über zehn Jahren berät Cordula Schneider, selbst Steuerberaterin, Kanzleien bei ihrer Entwicklung. Ihr Schwerpunkt liegt auf dem Honorarcoaching. Dabei unterstützt sie Sie bei der Entwicklung konkreter Dienstleistungen, moderner Honorarmodelle sowie der Kalkulation. Verkaufscoaching unter dem Motto „Empfehlen statt Verkaufen“ für Chef:innen und Mitarbeitende runden das Thema ab. Wichtig sind ihr pragmatische Lösungen, die individuell zur einzelnen Kanzlei passen.

Bild: Adobe Stock/©Feodora

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