Von Marco Feelisch
Als ich mein erstes Unternehmen, Buckle & Seam mit einem Freund gründete, war ich Anfang 20 und wir skalierten schnell. Über die buchhalterischen Auswirkungen unserer Webshop-Einstellungen hatten wir uns dabei zunächst keine Gedanken gemacht. Handelt es sich bei diesem Vorgehen um einen Einzelfall von unvorbereiteten E-Commerce-Unternehmer:innen? Um diese Frage zu beantworten und Kanzleien einen Einblick in die E-Commerce-Branche zu verschaffen, haben wir einige Gründer:innen und Unternehmer:innen befragt, was sie als E-Commerce-Unternehmen von moderner Steuerberatung erwarten – denn längst ist E-Commerce kein Nischenthema mehr.
Folgenden Unternehmer:innen habe ich die gleichen Fragen gestellt und die außergewöhnlichsten Antworten im diesem Beitrag zusammengefasst:
- Max – Gründer Emma Matratze & Maniko
- Dustin – Gründer der Uhrenmarke Sternglas
- Mareile – Gründerin der Tierhealth App Vetevo
- Anonym – Gründer einer nachhaltigen Modemarke
Es zeigten sich mehrere Gemeinsamkeiten: Fast alle haben in ihren Zwanzigern gegründet, sind mit einer UG gestartet, erzielten siebenstellige Umsätze und verkaufen europaweit.
Wie hast du beim Start deines E-Commerce Stores nach deiner ersten Steuerberatung gesucht?
Max: „Wir haben einen Steuerberater aus dem Gründer-Netzwerk übernommen. Das Problem war, dass die preislich gut waren, aber schnell an die Grenzen ihrer Kapazitäten gestoßen sind, weil sie nicht wussten, wie sie mit den E-Commerce-Daten von Shopify, PayPal und anderen Zahlungsanbietern umgehen mussten.“
Alle von mir befragten Unternehmer:innen haben die ersten Kontakte zu Steuerberatungen aus dem Gründernetzwerk erhalten. Manche haben versucht, eine Kanzlei mit Fokus auf E-Commerce zu suchen, waren aber nicht sofort erfolgreich. Auch bei Buckle & Seam wurde ich durch einen befreundeten Unternehmer auf die erste Steuerberatung aufmerksam gemacht.
Keine bzw. keiner, der befragten Unternehmer:innen hat seine Steuerberatung über die Google-Suche gefunden. Zufall?
Wie lief die Zusammenarbeit in den ersten Jahren?
Mareile von Vetevo hat in bisher fünf Jahren bereits mit vier Steuerberater:innen zusammengearbeitet. „Wir waren immer unzufrieden und frustriert, weil die Kommunikation schleppend lief und die Prozesse nicht digital waren”. Hier wäre es spannend, die Steuerberatungen nach Feedback zu fragen.
Max antwortet mir selbstkritisch „Ehrlicherweise waren wir aber auch kein guter Kunde. Die Steuerkanzlei hat schließlich selbst vorgeschlagen, dass wir uns eine spezialisierte Kanzlei suchen sollten. Daraufhin haben wir im Netzwerk eine sehr digitale Buchhaltung gefunden.”
Ein anderer Unternehmer (anonym), merkte an, dass er grundsätzlich mit seiner Steuerkanzlei zufrieden sei: „In den ersten Jahren lief die Zusammenarbeit weitestgehend manuell über Exporte aus den verschiedenen Systemen und aufbereite Excel-Dateien. Die Kommunikation war dabei von Beginn digital und von den Abläufen sehr schlank und effizient gestaltet.” Dustin von Sternglas merkte an, „dass es mit der Zeit und dem Wachstum immer schwieriger wurde, weil die Sachverhalte komplexer, zeitgleich aber der Druck und Abgabefristen kürzer wurden.”
Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie niedrig die Buchhaltung auf der Prioritätenliste von E-Commerce-Unternehmer:innen steht und dementsprechend viel bzw. wenig Aufmerksamkeit bekommt. Was mich jedoch verwundert hat, ist, dass keine:r der Unternehmer:innen einen festen monatlichen Termin mit der Steuerberatung hatte, um Auswertungen zu besprechen.
Was erwartest du mittlerweile von deiner Steuerberatung?
Dustin: „Ich erwarte, dass sich mein Steuerberater bzw. meine Steuerberaterin an alle bestehenden Systeme, sei es den Shopify-Shop oder Mollie-Schnittstellen anbindet, um alles digital zusammenzuführen. Nicht mehr klassisch wie früher als Papiertiger, sondern vielmehr als digitaler Asset-Merger.”
Max: „Steuerberatungen mit Fokus auf E-Commerce sollten aus meiner Sicht in maximaler Automation denken. Wir organisieren bspw. die Eingangsseite unserer Buchhaltung mit Moss und die Ausgangsseite mit pathway.”
Mareile fordert „E-Commerce-Verständnis, bzw. Startup-Verständnis (wie bucht man ein Convertible oder Revenue-Based Financing), kreative Strukturierung der betriebswirtschaftlichen Auswertung (BWA), z. B. BWA vor Management.”
In Gesprächen nehme ich immer wieder wahr, dass die Erwartungshaltungen von beiden Seiten nicht kommuniziert werden. Daher kann ich Steuerberaterinnen und Steuerberater nur dazu animieren, sich selbst die Frage zu stellen „Mit welchen E-Commerce-Shopsystemen (bspw. Shopify, WooCommerce, Shopware) haben wir Erfahrung, wie arbeiten wir damit, was sind die Best Practices von anderen Mandant:innen?“, und eine Checkliste zu entwickeln.
Im E-Commerce gehen die Unternehmer:innen sehr offen in den Erfahrungsaustausch untereinander. Von daher sind Fallstudien und Erfahrungsaustausch mit Unternehmer:innen der gleichen Branche an der Tagesordnung. Zu meiner Zeit bei Buckle & Seam wurden wir von unserer damaligen Kanzlei oft als Referenz für andere Mandate genannt, wir haben digitale Tools für die Einstiegsseite getestet (Candis, Moss etc.) oder Prozesse definiert und getestet. Diese Erfahrungen wurden dann, mit unserer Zustimmung, mit anderen Mandant:innen der Kanzlei geteilt. Ganz nach dem Motto „Sharing is caring“.
Viele E-Commerce-Unternehmer:innen wünschen sich, mit anderen Mandant:innen vernetzt zu werden. Hier beobachte ich, dass die Kanzleien, die bei pathway einen monatlichen Zuwachs an automatisierbaren E-Commerce-Mandaten haben, ihre gut laufenden Kund:innen als Referenz heranziehen.
Ein Beispiel ist die Kanzlei Knappworst, die die Buchhaltung für eine der führenden Shopify-Marken Ooia macht. Auf diese Marke schauen viele Shopify-Händler:innen, deswegen hilft es der Buchhaltung, diese Referenz zu erwähnen, wenn z. B. ein neuer Prozess gebaut wird.
Wie möchtest du mit der Steuerberatung zusammenarbeiten?
Anonym: „Von einer Steuerberatung, die sich auf E-Commerce-Unternehmen spezialisiert hat, erwarte ich ein hohes Maß an Verständnis. Darüber hinaus ist mir ein hoher Automatisierungsgrad wichtig. Zudem spielt für mich die Beratung hinsichtlich Handlungsempfehlungen und Best Practices, z. B. bei den Themen Internationalisierung oder Erschließung weiterer Vertriebskanäle, eine große Rolle.“
Max: „Wir nehmen uns zum Start viel Zeit und konzipieren neue Prozesse, z. B. wie erstellt man eine saubere, strategisch verwertbare BWA? Bei meiner ersten Gründung Emma, konnten wir die BWAs nicht operativ nutzen, weil sie zum einen zu spät kamen und sie zum anderen anders verbucht worden sind als unser eigener Businessplan. Mittlerweile möchte ich vom Steuerbüro einen Check unseres internen Management-Reportings und der Zahlen erhalten. Im Controlling werden diese Daten vereint, um eine kontinuierliche Buchhaltung zu gewährleisten.“
Dustin: „Möglichst digital – ich erwarte vorgefertigte Prozesse und Dateien, keine Interaktion via Excel, sondern Webinterfaces. Die Branche scheint in und an digitalen Prozessen zu arbeiten, aber als E-Commerce-Unternehmen haben wir gigantische Datenmengen. Da müssen sich Kanzleien, die mit diesen zusammenarbeiten möchten, entscheidend weiterentwickeln. Aus meiner Sicht sollte man sich als Steuerberatung entweder komplett in das Thema E-Commerce und die damit verbunden Anforderungen einarbeiten oder es ganz lassen, da ein hohes Maß an IT-Knowhow nötig ist.”
Die Erwartungshaltung an die Steuerberatung spiegeln das wieder, was wir in Gesprächen mit E-Commerce-Mandant:innen hören: Es wird von Kanzleien Expertenwissen im E-Commerce, Handlungsempfehlungen und IT-Kompetenz erwartet. Ganz nach dem Motto „es muss doch eine Lösung geben.”
Was ist dein Eindruck der Steuerberatungsbranche?
Anonym: „Die Branche ist aus meiner Sicht aktuell noch relativ stark geprägt von vielen manuellen Prozessen und händischer Datenaufbereitung. Das Verständnis für neue Geschäftsmodelle fehlt oftmals. Der Beratungsansatz ist meiner Meinung nach in dieser reaktiven Form nicht mehr zeitgemäß und sollte sich zu einer proaktiven Beratung entwickeln.”
Max: „Mein Eindruck ist, dass selbst Kanzleien, die viele E-Commerce-Mandate bearbeiten, noch am Anfang stehen. Die großen Steuerkanzleien haben meist eine Handvoll Leute, die sich auskennen. Jedoch ist deren Beratung dann häufig teuer, weil wenig auf Automatisierung gesetzt wird. Idealerweise sollte in Zukunft folgendes Setup für Kund:innen entwickelt werden: ‚Welches E-Commerce-System wird verwendet? Welche Schnittstelle gibt es?‘ Aus meiner Sicht ist das eine riesige Spezialisierungschance für Kanzleien.”
Es scheint derzeit noch eine große Diskrepanz zwischen Erwartungshaltung von E-Commerce-Unternehmer:innen und Steuerberatungen zu geben. Die Wahrnehmung der hier dargestellten Einzelpersonen, sollte alle digitalen Kanzleien motivieren, Veränderung weiter zu leben und in den direkten Austausch mit ihren E-Commerce-Mandant:innen zu treten.
Marco Feelisch, Gründer der Marke Buckle & Seam und ausgezeichnet von Forbes „30 under 30“, ist nach seiner Zeit als E-Commerce-Gründer mit pathway solutions auf die Steuerberatungsseite gewechselt und hilft nun anderen E-Commerce Unternehmer:innen, effektiv mit Steuerberatung und Buchhaltungen zusammenzuarbeiten.
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