Von Jürgen Derlath
Schon merkwürdig, was mit einem Mal so alles geht, wenn es denn sein muss. Kanzleien, in denen Homeoffice bisher nicht praktiziert wurde, haben aus der Notwendigkeit heraus, den Betrieb aufrechtzuerhalten, die Mitarbeiter zum Arbeiten nach Hause geschickt. Dabei haben viele die Erfahrung gemacht, dass das Homeoffice keineswegs die Arbeitsproduktivität beeinträchtigt, sondern die Entwicklung digitaler Kanzleiprozesse wie ein Katalysator fördert. Damit die Freude am Homeoffice aber erhalten bleibt, sollten einige Punkte beachtet werden.
Das Coronavirus sorgte für einen Schub beim Homeoffice
In einer gemeinsamen Studie haben das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und die Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. (DGFP) die Auswirkungen, Chancen und Erfahrungen virtueller Arbeitsformen in der Corona-Pandemie analysiert. Fast 70 % der Befragten gaben an, dass ihre Angestellten in der Corona-Phase komplett im Homeoffice arbeiten. Bei gut 21 % wird das Modell einer 50:50-Aufteilung gewählt. Vor der Coronakrise war der Anteil der daheim arbeitenden Mitarbeitenden deutlich geringer. Die Befragten haben angegeben, dass Arbeits- und Kooperationsprozesse insgesamt deutlich stärker virtualisierbar wurden als bisher (Grafik 1). 47 % der Befragten haben auch bestätigt, dass gerade Führungskräfte Vorbehalte abgebaut haben.
Den Ausnahmezustand sinnvoll in einen Dauerzustand überführen
Was Mitarbeiter und Führungskräfte in der Krise erlebt haben, war Homeoffice als Ausnahmezustand. Der Fokus lag ganz eindeutig auf der Aufrechterhaltung einer irgendwie funktionsfähigen Kanzlei. Gedanken über eine aktive Kollaboration oder eine möglichst digitale Zusammenarbeit standen hinten an. Dennoch machten Kanzleien in den meisten Fällen positive Erfahrungen und stellten fest, dass Zusammenarbeit mit dezentralen Strukturen besser gelingt als erwartet.
Das wirft die Frage auf, wie das Homeoffice die Arbeitsweisen in der Kanzlei zukünftig ergänzen kann. Auch ohne erneute Corona-Ausbrüche wird es schwer werden, den Geist wieder in der Flasche einzusperren, wie die Antworten in Grafik 2 zeigen. Wichtig ist es, den „Dauerzustand“ Homeoffice strategisch anzugehen und sich über die wichtigsten Bereiche Gedanken zu machen.
Die Digitalisierungschance Homeoffice nutzen
Wer das Homeoffice als Chance zur Digitalisierung nutzen will, darf seine Mitarbeiter nicht mit einem Wäschekorb voll Aktenordnern und einem Telefon nach Hause schicken. Es handelt sich vielmehr um eine Gestaltungsaufgabe. Hierzu gilt es, auf mindestens vier Ebenen tätig zu werden:
1. Ebene der technischen Realisierbarkeit:
Alle Mitarbeiter müssen die technischen Möglichkeiten erhalten, sicher auf die Server der Kanzleien zuzugreifen. Konkret heißt das z. B.: Bereitstellung von Laptops mit Kamera und Mikro, VPN-Zugängen und remote-fähigen Anwendungen zur Video-Kommunikation und zur Kollaboration. Ein Rechner ohne Kamera und Mikrofon macht keinen Sinn, weil man nicht an Video-Chats teilnehmen kann. Zusätzlich empfiehlt es sich, sich aktiv mit dem Einsatz von Kollaborationstools auseinanderzusetzen und diese einzusetzen. Mitarbeiter müssen eine Möglichkeit bekommen, sich austauschen zu können – fachlich wie persönlich.
2. Ebene der digitalen Prozesse:
Auf dieser Ebene geht es u. a. um die Digitalisierung von bislang analogen Arbeitsdokumenten, um die digitale Arbeitszeiterfassung und den digitalen Dokumentenaustausch statt der Nutzung eines Pendelordners. Der Einsatz einer DMS-Software sollte mindestens Standard sein oder werden – gerade weil sich Belege nicht mehr an den Orten befinden, wo Mitarbeiter arbeiten. Das ist zudem auch das Argument für den Einstieg in die durchdigitalisierte Buchführung und in die digitale interne Organisation (vgl. Henke, KP 2019, 172).
3. Ebene des regulatorischen/datensicherheitstechnischen Rahmens:
Neben einer arbeitsrechtlichen Absicherung und Einrichtung der Homeoffice-Arbeitsplätze und dem Datenschutz geht es hier vor allem um allgemeine Regelungen zur Zusammenarbeit. Das ist nicht nur für die Mandanten wichtig, sondern ebenso für die Mitarbeiter, damit Arbeit und Freizeit nicht allzu sehr miteinander verschwimmen. Hier geht es um Fragen wie: Wann ist die Kernarbeitszeit? Wann und wie ist die Erreichbarkeit geregelt? Wann wird welches Medium zum Austausch wie genutzt?
4. Ebene der Kanzleikommunikation (intern und gegenüber Mandanten):
Wie Grafik 1 zeigt, geht der Trend in Richtung digitale Kommunikation (vgl. auch Reimann, KP 20, 128). Sie sollten sich also nicht nur Gedanken über den Einsatz der entsprechenden Programme machen, sondern auch hier Regelungen zur Nutzung festlegen, weil digitale Kommunikation andere Regeln als analoge braucht.
Den menschlichen Faktor nicht vergessen
Bei der sehr technologielastigen Gestaltungsarbeit darf nicht vergessen werden, dass letztlich Menschen mit den neuen Strukturen leben müssen. Das gilt für Führungskräfte wie für Mitarbeiter.
Das Führen von Mitarbeitern im/aus dem Homeoffice ist für die meisten Führungskräfte in Kanzleien eine komplett neue Führungssituation (Ketteler, KP 29.07.20). Um Mitarbeiter auf Distanz gut führen zu können, muss eine Vielzahl von Faktoren berücksichtigt werden, die im Büro vor Ort keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen. Es braucht eine andere Art der Führung, Technik, klare Regeln und Freiräume, damit das Homeoffice weder zur Einsamkeitsfalle noch zum Bindungsabbruch führt. Bei den Mitarbeitern kann das die Arbeit im Homeoffice mit grundlegenden Bedürfnissen wie dem nach Zugehörigkeit, Sicherheit und Wertschätzung kollidieren (Ketteler, 03.08.20). Insgesamt liegt die Herausforderung jedoch nicht darin, die Erfüllung aller Bedürfnisse durch das Homeoffice gleichermaßen zu optimieren – das geschieht auch im Büro nicht.
Es geht darum, die neue Arbeitsform Homeoffice so zu gestalten, dass sie eine willkommene (!) Flexibilisierung der Arbeit ermöglicht. Das aber geht nur, wenn beide Seiten etwas davon haben.
Weiterführende Hinweise
Arbeiten in der Corona-Pandemie (Fraunhofer IAO/DGFP, 2020)
Einstieg in die digitale Beratung der Mandanten – wann, wenn nicht jetzt? (Reimann, Kanzleiführung professionell 2020, S, 128)
Das Homeoffice als Digitalisierungskatalysator (Henke, Kanzleiführung professionell 2020, S, 128)
So führen Sie Mitarbeiter im/aus dem Homeoffice (Ketteler, Kanzleiführung professionell, Beitrag vom 29.07.20)
Homeoffice ist nicht Heimarbeit (Ketteler, Kanzleiführung professionell, Beitrag vom 03.08.20)
Foto: Adobe Stock/Tierney
Jürgen Derlath ist Steuerberater, Psychologe und verantwortlicher Redakteur des IWW-Informationsdienstes Kanzleiführung professionell.
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