Digitalisierung Mitarbeitende

Von Martin Grau

Digitale Prozesse sind in vielen Steuerkanzleien längst Standard. Die Vorteile liegen auf der Hand. Zeit- und Kostenersparnis durch einfachere und strukturierte Prozesse, mehr Flexibilität, besserer Datenaustausch, einfache Kommunikation, geringere Fehleranfälligkeit und mehr Effizienz. Eine enorme Erleichterung sowohl für Steuerberater:innen als auch für Mandant:innen. Doch die Welt dreht sich weiter und digital war gestern – die Zukunft heißt Automatisierung und Künstliche Intelligenz (KI).

Es gibt Software und Automatisierungsplattformen, die mittels Robot Process Automation (kurz RPA) und Machine Learning erstmals Prozesse gänzlich automatisieren und standardisieren. Quasi auf Knopfdruck können Angebote aus dem zugrundeliegenden Leistungskatalog erstellt oder Rechnungen automatisch geprüft und freigegeben werden. Der gesamte Onboarding-Prozess von Neumandat:innen, oder auch die Lohnvorerfassung sowie das Kanzleicontrolling, kann von KI eigenständig übernommen werden und muss nicht mehr „manuell“ abgearbeitet werden. Digitale Mitarbeitende machen es möglich. Was jetzt für viele noch wie ferne Zukunftsmusik klingt, wird in ein paar Jahren, und viel schneller als gedacht, ganz normaler Kanzleialltag sein.

Wird der Mensch dann überflüssig? Nein, das kann ich besten Gewissens sagen. Selbstlernende Software und RPA-Technologie werden Mitarbeiter:innen nicht ersetzen, es werden aber neue Aufgaben auf die Mitarbeitenden zukommen.

RPA übernimmt zeitraubende, monotone und lästige Prozesse, die niemandem wirklich Spaß machen. Dadurch werden Potentiale freigesetzt, die fortan wesentlich zielgerichteter genutzt werden können.

Neue Herausforderungen für Mitarbeitende

All das verlangt ein Umdenken der Führungskräfte und auch eine gewisse Bereitschaft zur Veränderung auf Seiten der Mitarbeitenden. Denn wir haben festgestellt: nicht jede:r fühlt sich wohl bei dem Gedanken, über den Tellerrand hinauszuschauen und Arbeitsweisen umzustellen. Nicht jede:r Mitarbeiter:in möchte sich tatsächlich weiterentwickeln und/oder neue Aufgaben übernehmen. Und nicht jede:r ist dazu tatsächlich auch in der Lage. Manch eine:r fühlt sich gerade aufgrund der täglichen Routine und der daraus gewonnenen Sicherheit wohl.

Das Thema Mitarbeiterentwicklung ist ein sehr sensibles Thema, das im Zuge der Automatisierung und Digitalisierung teilweise vernachlässigt wird. Kanzleiinhaber:innen werden sich in Zukunft verstärkt die Frage stellen müssen, welche Fähigkeiten und Talente in Zukunft wirklich gefragt sind, wenn Rechnungsprüfung, Stammdatenübernahme, Steuerbescheidprüfung oder Fakturierung völlig selbstständig und automatisiert im Hintergrund ablaufen und nicht mehr von den Mitarbeitenden geleistet werden. Denn mal ehrlich, wenn wir anfangen unsere langjährigen Kenntnisse und Fähigkeiten mit denen der KI zu messen, wird das nur zu Frustration führen. RPA ist schneller, fehlerfreier, zuverlässiger und niemals müde, erschöpft oder krank. Es sei denn ein Update ist fehlgeschlagen.

Digitale Skepsis – muss das sein?

Klar ist, je mehr digitalisiert und automatisiert wird, je mehr RPA und KI in die Arbeitswelten eingebunden werden und je stärker hybride Arbeitsmodelle das neue Normal werden, desto mehr Risiken gibt es, dass das Zwischenmenschliche auf der Strecke bleibt. Das betrifft nicht nur den Umgang der Mitarbeitenden untereinander. Auch der Umgang mit Mandant:innen verändert sich im Zuge des digitalen Wandels. Denn Steuerberater:innen erhalten ganz persönliche Einblicke in das Leben beziehungsweise die Unternehmen ihrer Mandant:innen, die sonst niemand so offen dargelegt bekommt. Das setzt Vertrauen voraus, Stichwort Datensicherheit, und das darf bei der Digitalisierung nicht auf der Strecke bleiben. Denn Vertrauen ist der USP unserer Branche!

Milliardensummen werden in neue Technologien gesteckt, doch schon jetzt stößt das in der breiten Masse der Bevölkerung auf Skepsis. Die globale Mehrheit von 67 Prozent denkt, dass die negativen Auswirkungen der Digitalisierung die positiven überwiegen (vgl. Hootsuite/We are social 2018, S. 46). Weltweit nennen 27 Prozent der Menschen „Aufstieg der Roboter und Versklavung der Menschheit“ als Sorge (vgl. Pega 2019).

Was also tun, damit der Mensch trotz Automatisierung weiterhin im Mittelpunkt steht? Diese Frage lässt sich sicherlich nicht pauschal beantworten, wir für uns haben jedoch eine Antwort und auch eine Lösung gefunden.

Selbstorganisation als eine Lösung

Wir haben es trotz des Wandels in unserer Kanzlei geschafft, das Vertrauen und das Bedürfnis nach Anerkennung unserer Mitarbeitenden zu erhalten. Wir haben niemandem in unserem Team die neuen Rollen und Aufgaben aufgezwängt. Wir haben es sich entwickeln lassen. Über Tage, Wochen, Monate, Jahre. Wir als Geschäftsführung haben uns aus diesen Entwicklungen immer weiter rausgenommen und das Team einfach machen lassen. Auch bewusst Fehler machen lassen, um Erfahrungen zu sammeln und daraus zu lernen. Das Zurücknehmen und „Nicht da Sein, um sich zu kümmern“ mussten wir als Geschäftsleitung dabei allerdings auch erst lernen.

Das hat nachhaltig das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten unserer Mitarbeitenden gestärkt. Ohne kompetente Partner an unserer Seite wäre diese Entwicklung nicht möglich gewesen. Dabei hat es auch mal ordentlich im Getriebe geknirscht und Fakt ist, dass einige wenige Mitarbeitende deshalb das Handtuch geworfen haben. Ein paar sind gegangen, neue Teammitglieder sind hinzugekommen. Wegen des Wandels, wegen einer neuen Führung, wegen einer neuen Art Steuerberatung zu denken. Unterm Strich hat sich das für uns mehr als gelohnt. Und auch für unsere Mandant:innen, die wir von Anfang an in die neuen Prozesse und in den Wandel eingebunden haben. Deren Feedback war für uns äußerst wertvoll – die Zeit, die wir durch die Digitalisierung und bald Automatisierung gewinnen, können wir für noch bessere und ausführlichere Beratung zurückgeben. Eine Beratung, die letztendlich vom Team umgesetzt wird und die wir als DiGiTAXperts auch Kanzleien anbieten, die sich dafür interessieren.

Einfach mal anfangen

Neue Soft- und Hardware ist schnell installiert, aber das allein macht Digitalisierung und den Branchenwandel bekanntlich nicht aus. In Zukunft erledigen sich verwaltungstechnische Arbeiten weitestgehend ohne menschliche Hilfe. Was passiert dann mit den Mitarbeitenden? Kanzleien, die sich darüber noch keine Gedanken gemacht haben, sollten anfangen, sich jetzt damit zu beschäftigen. Denn wir können aus Erfahrung sagen, Wandel braucht seine Zeit. Vor allem wenn er nachhaltig und erfolgreich sein soll. Für alle, Mandant:innen, Mitarbeitende und die Kanzleileitung.

Tipp:

Sogenannte Lern- und Experimentierräume sind perfekt geeignet, um neue Rollenkonzepte zu entwickeln, eigene Lösungen zu entwickeln und neue Methoden auszuprobieren. Hier können Kanzleileitung und Beschäftigte gemeinsam ausprobieren, wie die Arbeit der Zukunft konkret aussehen kann. Seit 2017 fördert das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Zuge der Digitalisierung der Arbeitswelt Unternehmen bei der Einrichtung betrieblicher Experimentierräume.

Wie Sie strategisch an die Digitalisierung Ihrer Kanzlei rangehen, lesen Sie auch in der Fachinfo-Broschüre "Ihr Weg zur digitalen Steuerkanzlei"
Foto: Adobe Stock/Robert Kneschke
Martin Grau

Martin Grau ist Partner der "megra Steuerberatung | Wirtschaftsprüfung" in Troisdorf. Gemeinsam mit seinen Mitarbeitenden entwickelt er unter der Marke DiGiTAXperts® digitale Produkte und Geschäftsmodelle. Sein Wissen und seine Erfahrungen im Bereich Digitalisierung/Automatisierung, Mitarbeiterentwicklung und Kanzleiführung teilt er in zahlreichen Vorträgen und Seminaren.

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